Fünfte Erzählung.
* (37).
Von Josia dem Kaiser zu Rom.

[136] Einst herrschte der gewaltige Josias zu Rom, der hatte drei Söhne, die ihm gar lieb waren. Nun hatte aber derselbige König beständig Krieg wider den König von Aegypten, und dabei alle seine Habe aufgezehrt bis auf einen Baum, der solche Kraft hatte, daß seine[136] Frucht alle Gebreste heilte, ausgenommen den Aussatz. Da nun derselbige König schwer darnieder lag bis auf den Tod, und nicht davon kommen konnte, da rief er seinen Erstgeborenen zu sich und sprach: ich habe Dich und Deine Brüder so lieb gehabt, daß ich Alles, was ich gehabt habe, im Kriege verzehrt habe, denn allein diesen Baum, und da Du nun mein Erstgeborner bist, so schenke ich Dir an dem Baume Alles, was in der Erden ist und darob: gehe nun und rufe mir meinen anderen Sohn. Und also geschah es. Zu diesem sprach er aber also: mein lieber Sohn, ich habe Dir nichts Anderes zu schenken, denn von dem Baume, daran schaffe ich Dir die Länge, die Breite und die Tiefe. Hierauf sprach er zu ihm: gehe hin und rufe Deinen dritten Bruder. Zu diesem sagte er: lieber Sohn, Du weißt wohl, daß ich über nichts mehr zu gebieten und Alles verkriegt habe, was ich jemals besessen habe, bis auf diesen Baum. An dem schenke ich Dir alles Grüne und Dürre, was an ihm ist. Und da er nun alle seine Geschäfte vollbracht hatte, da kehrte er sich nach der Wand zu und gab seinen Geist auf. Darnach ward er würdiglich bestattet und begraben. Nun unterwand sich der erste Sohn des Baumes, und that, als ob er sein wäre. Das vernahm der andere und sprach: weshalb unterwindest Du Dich dieses Baumes? Der sprach: darum, weil mir mein Vater an ihm geschenkt hat Alles, was in der Erde ist und darob; darum weiß ich nicht anders, denn daß er mein ist. Der andere sprach: nun hat mir doch mein Vater geschafft an dem Baume die Höhe, die Breite und die Tiefe, und darum ist er auch allein mein. Das hörte der jüngste Bruder und sprach: lieben Brüder, warum unterwindet Ihr Euch dieses Baumes? Mir hat nun doch mein Vater das Alles geschafft,[137] Grünes und Dürres, was an dem Baume ist, daher ist er billiger Weise mein und nicht Euer. Allein höret doch meinen Rath, auf daß sich nicht ein Irrsal oder Zorn unter uns begebe, da wir doch einmal Brüder sind. So laßt uns also zu dem König hingehen, der hier in unserer Nähe wohnt, und wie nun der König nach unser aller Vorgeben richten wird, des sollen wir alle willig seyn und ihm darin folgen. Der Rath gefiel ihnen allen wohl, und sie kamen zu dem König und ein jeder legte dem König seine Sache vor, wie oben geschrieben ist. Da sie nun der König vernahm, sandte er nach einem Bader, und ließ dem ältesten der Brüder am Arme zu Ader. Darnach fragte sie der König, wenn ihr Vater begraben worden sey. Das ward ihm gesagt. Da sandte der König einen Boten, der brachte ihm ein Bein aus dem Sarge des Vaters, das legte der König in das Blut, das von dem ältesten Bruder gekommen war, und da es eine gute Weile darin gelegen hatte, da legte er es an die Sonne und ließ es trocknen, und da es wohl getrocknet war, da ließ er es mit Wasser waschen. Und da man es wusch, ging das Blut von dem Beine, gerade als wenn es nie da gewesen wäre. Da hieß der König dem andern Bruder auch am Arme Ader zu lassen, und that das Bein des Vaters in dasselbe Blut, und that damit gerade als wie mit dem ersten. Und da man es mit Wasser wusch, da ging das Blut ganz davon weg, und das Bein blieb bei seiner Gestalt. Da befahl der König, daß man dem jüngsten Bruder auch an dem Arme Blut lassen solle, und that mit dem Blute und dem Beine des Vaters gerade wie zuvor. Und da es an der Sonne und an der Luft nun wohl getrocknet war, da ließ er es wie zuvor mit Wasser abwaschen. Da konnte er aber das Blut mit Wischen und Schaben und[138] mit keinerlei Sache von dem Beine herunter bringen, und das Bein blieb durchweg blutig. Wie das der König sah, da merkte er dabei, daß der des Königs Sohn war und die andern nicht, und machte ihn zum Herrn des Baumes, und der König ward um seiner Weisheit Willen sehr gelobt.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 136-139.
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