Einundzwanzigste Erzählung.
† (100).
Von Octaviano und einem Thurme mit Bildern.

[206] Octavianus regierte zu Rom gewaltig und reich, und war doch also zu begierig auf Gold und Silber, dessen er begehrte. Es war aber ein Meister zu Rom, der hieß Virgilius und war vollkommen in der schwarzen Kunst. Nun baten ihn die römischen Bürger, daß er etwas machte, damit sie ihre Feinde erkennten, auf daß sie sich vor ihnen bewahren möchten. Da baute er einen hohen Thurm und in der Höhe des Thurmes ringsum so viele[206] Bilder, als Länder Rom unterthänig waren, in der Mitte des Thurmes aber machte er ein Bild, das hielt einen güldenen Apfel in der Hand, und ein jegliches Bild kehrte sein Antlitz gegen das Land, da es hingehörte. Und wenn sich dann ein Land in seiner Gesinnung umkehrte, so daß es den Römern widerstrebte, dann läutete das Bild eine Glocke, und die andere läutete auch. Etliche sprachen, daß der Römer Gott Panteon seinen Rücken dem Bilde des Landes zugekehrt habe: wenn dann die Römer das sahen, dann versorgten sie sich mit Heeresmacht und bezwungen sie dann wieder. Also mochte sich denn kein Land vor den Römern verbergen der Bilder wegen, die da waren. Darnach machte Meister Virgilius noch um der armen Leute Willen zu ihrem Troste ein großes Feuer, das stets brannte, daß sie sich erwärmen konnten, und bei dem Feuer einen Springbrunnen, daß sie sich daran laben mochten oder neben dem Feuer baden. Daselbst machte er auch ein Bild, das allda stand, und an dessen Stirn stand geschrieben: wer mich schlägt, an dem nehme ich alsbald Rache. Das Bild stand aber lange da, zuletzt kam jedoch einer, der die Ueberschrift las: wer mich schlägt. Der dachte bei sich: was für eine Rache willst Du denn nehmen? Ich glaube, eher könnte ich Dir darum eine Maulschelle geben, daß ich unter Deinen Füßen einen großen Schatz fände. Und darum willst Du, daß Dich Niemand schlage, damit Du nicht fallest. Der ließ also nicht davon, sondern er schlug das Bild an den Hals, so daß es umfiel, und alsbald verschwand das Wasser und das Feuer erlosch und er fand nirgends einen Schatz. Die armen Leute wurden aber gar betrübt von dem Falle des Bildes und sprachen: verflucht sey der, welcher um seines Geizes Willen das Bild zerstört und uns unseres Trostes beraubt[207] hat. Darnach kamen drei Könige, die den Römern viel Ungemach anthaten und sprachen unter sich selbst: wie mögen wir uns an den Römern rächen? allein wir mühen uns umsonst, denn so lange der Thurm da steht mit den Bildern, so lange schaffen wir nichts und mögen auch wider die Römer nicht streiten. Da standen drei Ritter auf und sprachen: was giebt man uns, daß wir den Thurm mit seinen Bildern brechen? Da antworteten ihnen die drei Könige: vier Fässer voll Gold, und die Ritter sagten: es geschehe also. Die drei Ritter aber nahmen das Gut, vier Fässer voll Gold, und fuhren gen Rom, und an dem ersten Thore gruben sie auswendig eine große Grube und Tiefe und legten darein einen großen Schatz Goldes, bei dem andern Thore einen zweiten Schatz, und bei dem dritten auch noch einen kleinen. Als sie nun das in der Stille gethan hatten, gingen sie in die Stadt vor den Kaiser. Der kam ihnen aber entgegen und grüßte sie und sprach zu ihnen: von woher send Ihr? Sie antworteten aber und sprachen: Herr, wir sind von fernen Landen und sind Ausleger der Träume, und es mag uns nichts Anderes träumen, denn wo Gold und Silber verborgen liegt: das vermögen wir wohl mit unserer Kunst zu finden. Nun haben wir gar viel von Euerer Frömmigkeit gehört und wir sind zu Euch hergekommen, ob Ihr unserer Dienste bedürfet. Der Kaiser sprach: ich will Euch versuchen. Sie antworteten aber dem Kaiser: Herr, wir nehmen den halben Theil Silber oder Gold, was wir finden durch unsere Kunst. Nach dem Abendessen sprachen sie zu dem Kaiser: Herr, wollt Ihr, so legen wir uns schlafen, und dem ältesten von uns wird in der Nacht ein Traum kommen, und denselbigen Traum sagen wir Euch morgen. Der Kaiser sprach: nun gehet in Gottes Namen und Gott gebe[208] Euch einen guten Traum. Die gingen aber für sich und vertrieben sich die Nacht mit Freuden und Spott, und des Morgens früh kamen sie vor den Kaiser: Herr, ich sah, sprach der Aelteste, in meinem Traume, daß vor dem vordersten Thore der Stadt sich eine tiefe Grube befindet, darin ist ein Faß mit Gold verborgen. Der Kaiser sprach: gehen wir still hinaus und versuchen wir, ob dem also ist: und da sie hinauskamen und mit graben begonnen, da fanden sie Alles, wie der Ritter gesagt hatte. Der Kaiser aber ward froh und hielt sie in großen Ehren und Obhut und nahm das Gut in seine Kammer, und die Hälfte gab er ihnen. Nun sprach der andere Ritter: ich will heute auch versuchen, was mir träumt. Des Morgens früh sprach er, er habe auch einen Traum gesehen, es liege unter dem andern Thore auch ein Bottig mit Gold und Silber: da ward auch nachgegraben und er ward gefunden. Der dritte aber that auch also, wie die zwei andern gethan hatten. Darnach sprachen sie alle drei zu dem König: Herr, wir haben alle drei in dieser Nacht nur einen Traum gehabt. Herr, es liegt unter dem Thurme, wo die Götter sind, so großes Gut, daß dessen eine Unmasse ist. Da antwortete der Kaiser: das thue ich nicht, daß ich den Thurm mit den Bildern um des Goldes Willen zerstöre. Sie antworteten ihm und sprachen: Herr, wir werden so klüglich graben, daß wir der Grundfeste nicht schaden, und das muß bei Nacht geschehen, daß solches der Pöbel nicht inne wird, denn er würde uns sonst den Schatz verschleppen. Der Kaiser sprach: nun so gehet hin und thuet Euer Bestes, wie Ihr nur könnt, morgen komme ich mit meinen Rossen zu Euch nach dem Schatze. Die drei Ritter aber gingen bei der Nacht mit Freuden dahin und begonnen an der Grundfeste des Thurmes zu graben und untergruben sie und zündeten[209] darunter ein Feuer an und zogen damit ihre Straße. Nun waren sie kaum eine Meile von der Stadt Rom entfernt, als der Thurm mit den Bildern zusammen brach. Des Morgens in der Frühe kamen aber die Bürger von Rom und hörten und sahen, daß der Thurm eingestürzt sey, und klagten dem Kaiser ihr Herzeleid und sprachen mit ihm. Der Kaiser aber sagte ihnen, wie die mit ihm gethan hätten. Da antworteten ihm die Römer und sprachen: durch Deinen Geitz sind wir unserer Ehre beraubt, darum soll Deine Bosheit wiederum auf Dein eigen Haupt fallen, und sie nahmen ihn mit und gossen ihm zerlassenes Gold in den Mund, daß er voll davon ward, und sprachen zu ihm: nach Gold hat Dich gedürstet, nun trinke Gold, und sie begruben ihn also lebendig in die Erde.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 206-210.
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