Achtundzwanzigste Erzählung.
† (99 s.a. [216] Gest. Rom. c. 46 oben Bd. I. p. 75.)
Von sieben Bäumen und von sieben Todsünden.

Ein Meister, der Tullius heißet, sagt uns, daß er im Mai in einen Wald ging: in dem standen sieben Bäume voller Blätter, die waren schön anzusehen, von denen nahm er so viel Aeste, als er kaum ertragen konnte. Da kamen zu ihm drei Männer und führten ihn aus dem Walde, und an dem Ausgange des Waldes, da fiel er in eine tiefe Grube, daß er von der Schwere seiner Bürde ganz und gar versank. Bei dem Walde aber denke man sich die Welt, die voll ist von mancherlei Bäumen, das sind die Todsünden. In dem Walde sind dreierlei, Welt, sieben Bäume und sieben Todsünden. Von allen diesen nimmt ein jeglicher Mensch so viel Aeste auf sich, daß er sie kaum ertragen kann noch entbehren mag, d.h. daß er nicht zu der Gnade Gottes kommen kann, so lange er in den Sünden ist. Nun kamen drei Männer, die waren Hüter des Waldes, das sind drei Feinde, der Leib, die Welt und der Teufel, und helfen ihm die Sünde vollbringen, bis daß er seine Seele verliert und in die Grube versenkt wird, d.i. in die Hölle, von der Schwere seiner Bürde, d.i. seiner Missethat und tödtlicher Sünde.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 216-217.
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