Neunzigste Geschichte

[77] geschah: Is geschehen an einem Muchson (Steuereinnehmer), der war ein Jud un er war ein großer Rosche (Bösewicht). Da er nun starb, da starb an dem selbigen Tag ein köstlicher Talmidchochom (Schriftgelehrter) un die ganze Stadt kam un helft den Talmidchochom, daß er sollt zu Kewure kommen (beerdigt werden) un das Volk ging mit dem Talmidchochom bis auf das Bethhakewure (Friedhof). Un wie sie nun alle beide Meßim (Tote) auf dem Bethhakewure waren un wollten sie zu Kewure tan, da kamen die Sonim[77] (Feinde) zu ziehen dort her. Un da die Leut das sahen, da laufen die Leut all hinweg un lassen die zwei Meßim auf dem Bethhakewure stehn. Da hat der Talmidchochom einen Talmid (Schüler) bei seinem Leben gehabt, der wollt nit von seines Rabbi Oraun (Sarg) weg gehn. Un saß bei dem Oraun still. Un wie es nun zum andern Morgen kam, da gingen die Leut wieder auf das Bethhakewure (Friedhof) un wollten die zwei Meßim (Toten) begraben. Da geschah es ja, daß die Meßim verwechselt waren. Un nahmen den Muchson für den Talmidchochom un täten ihn gar sehr mit Ehren zu Grabe, denn sie meinten er wär der Talmidchochom. Da schreiet der Jung, der da war bei der Misso (Leiche) sitzen geblieben: »Ihr nehmt den unrechten Oraun (Sarg), denn das is der Muchson, den ihr da wollt zu Kewure tan.« Aber es wollt nix helfen. Un dem Muchson seine Verwandten täten den Raw ins Kewer (Grab), das sie dem Muchson gemacht haben. Das schmerzte den Talmid (Schüler) sehr un gedachte was für ein Mizwe (Guttat) mag der Muchson, der Rosche bei seinem Leben gehabt haben, daß er so bekowed (mit Ehren) is zu Kewure (zu Grabe) gekommen. In derselbigen Nacht kam der Talmidchochom (Schriftgelehrte) zu seinem Talmid (Schüler) im Cholem (Traum) un sagt wider ihm: »Mein lieber Sohn, du brauchst dich nit um mich zu grämen. Komm mit mir, ich will dir weisen (zeigen) meine Stelle im Gan Eden (Paradies) un will dir weisen wie der Muchson im Gehinnem (Hölle) sitzt. Un die Angel von der Tür des Gehinnem, die geht ihm auf un zu in seinem Ohr. Un ich will dir auch sagen warum mir die Charpe (Schande) bei meinem Tod is widerfahren. Ich hab einmal gehört, daß man einen Talmidchochom (Schriftgelehrten) hat mesalsel gewesen (verächtlich behandelt), un bin derbei gewesen un hab es nit gewehrt un hätt es wol können wehren. Derhalben is mir so eine Charpe geschehen. Un ich will dir sagen, was der Muchson für ein Gutes hat getan, um daß er so bekowed is zu Kewure (Grabe) gekommen. Er hat einmal eine große Sude (Mahlzeit) für seinen Sar (Fürsten) von seiner Stadt gemacht, un der Fürst hat nit wollen kommen. Da is der Muchson hingegangen un hat die ganze Sude (Mahlzeit) unter die armen Leut verteilt. Derhalben hat ihm der Heilige, gelobt sei er, sein Gutes auf dieser Welt bezahlt.« Da frägt der Talmid (Schüler) seinen Rabbi: »Un wie lang muß der Muchson im Gehinnem sitzen un muß die große Pein leiden?« Da sagt der Rabbi zu ihm: »Bis Rabbi Schimen ben Schotach, sterbt der kommt in seinen Platz.« Da frägt der Talmid (Schüler) wieder: »Womit hat Rabbi Schimen das verschuldet, er is doch ein köstlicher Mann?« Da sagt ihm der Rabbi: »Von deswegen, derweil er die Machschefes (Hexen) läßt leben in Askalon. Un das sind eitel (nur) Jehudim, un er verbrennt sie nit, oder er is sonst nit Din (verurteilt sie nicht), daß sie um das Leben[78] möchten kommen.« Zu morgens ging der Schüler zu Rabbi Schimen ben Schetach un sagt ihm die Geschichte, die ihm sein Rabbi die Nacht gesagt hat. Was tät Rabbi Schimen? Er sammelt ein achtzig starke Bocherim (junge Leute) an einem Tag, da es eben Regenwetter war. Un er gab jeglichem Bocher einen großen Krug in seine Hand un tät in jeden Krug einen weißen Tallis (Gebetmantel). Un er sagt wider die Bocherim: »Beileib, seid gehütet vor den Machschefes, denn es sind ihrer achtzig. Un wenn ihr hinein geht, so geht ein jeglicher hin un hebt eine Machschefe von der Erden auf, dann haben sie keine Gewalt mehr. Aber wenn ihr das nit tut, so können wir ihnen nit beikommen.« So ging Rabbi Schimen zu den Machschefes alleinig in ihr Haus. Un er sagt wider seine Bocherim: »Bleibt ihr haußen, bis ich euch werd winken, da kommt dann herein zu mir un tut wie ich euch hab geheißen.« Un wie er nun herein ging in ihr Haus, da frägten sie ihn: »Wer bist du?« Da sagte er: »Ich bin ein Machschef (Zauberer) un ich will so wol können Kischuf (Zauberei) machen als wie ihr.« Da sagten sie zu ihm: »Was für einen Kischuf kannst du machen?« Da sagt der Rabbi Schimen ben Schetach: »Ich will machen achtzig starke Bocherim (junge Leute) herein kommen, un ein jeglicher soll einen trockenen Tallis aufheben, wiewol daß es heut ein Tag is von eitel Regen.« Da sagten sie zu Rabbi Schimen: »Laß uns dein Kunst sehen.« Da ging er heraus vor die Tür un winkte flugs seinen Bocherim. Da gingen sie hin un täten die Talleßim (Gebetmäntel) aus ihren Krügen un täten sie auf. Un sie gingen in das Cheder (Zimmer) hinein un ein jeglicher hebt eine Machschefe geschwind von der Erden auf um daß sie keinen könnten einen Schaden tun. Un sie trugen sie alle heraus un ließen sie alle zusammen an einen Baum hängen. Da das den Machschefes ihre Kerowim (Verwandten) haben gehört, da hat es ihnen sehr bang getan un kriegten eine Sinne (Haß) auf Schimen ben Schetach, derweil er ihre Kerowim alle um das Leben hat machen kommen. Etliche Tage dernach kamen zwei von ihren Verwandten un sagten Edus (Zeugnis) über den Sohn von Rabbi Schimen ben Schetach, gleich als wenn er was getan hätt, daß er todesschuldig drum war, un man sprach den Din (Urteil) über ihn aus, als daß man ihn versteinen sollt. Da sprach der Sohn von Rabbi Schimen ben Schetach: »Hab ich die Awere (Sünde) ja getan, als wie die dasigen auf mich Edus sagen, so soll mein Misso (Tod) keine Kapore (Sühne) haben auf meine Aweres (Sünden). Aber, hab ich die Aweres nit getan, als wie sie auf mich sagen, soll meine jetzige Misso (Tod) eine Kapore (Sühne) sein auf euch, un ihr Edes, die ihr sagt, Edes auf mich un ihr sollt alle gehargent (getötet) werden.« Da das die Edim (Zeugen) hörten, un daß sie ja scheker Edus (falsche Zeugenschaft) gesagt haben, da haben sie ihre Rede wieder zurück genommen un sie sagten ein[79] Taam (Grund), warum sie scheker Edus auf ihn gesagt haben. Sie hätten es darum getan weil die Machschefes (Hexen) ihre Verwandten waren. Aber gleichwol war er nicht poter (frei) von seinem Tode. Also hat man ihn versteint, derweil der Din schon ausgegangen war. Wir finden im Poßuk: »Einer, der hat einmal Edus gesagt, un er will dernach anders Edus sagen, so darf er es nit zurück nehmen.« Un also kam, dem Rabbi Schimen ben Schetach sein Sohn unschuldig um. Un das von scheker Edus halben. Der, dessen Namen gelobt sei, wird sein Blut an ihnen rächen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 77-80.
Lizenz:
Kategorien: