Siebenundneunzigste Geschichte

[87] geschah an einem, der hat geheißen Onkeles hager (der Fremde), der war der Schwestersohn vom Kaiser Adriones. Auf ihn is worden gesagt der Posuk (Vers): »Er sagt sein Red zu Jakew; sein Gesetz un sein Gericht von der Thauroh zu Iisroel; er tut nit so, zu keinem Volk.« Wie meint der Posuk das? Ich will euch bescheiden. Der Onkeles der hat im Sinn gehabt er wollt sich megajer sein (sich bekehren), un wollt Thauroh lernen, aber er forcht sich vor seinem Vetter dem Kaiser. Da ging er zu seinem Vetter, dem Kaiser, un sprach: »Mein lieber Vetter, ich will dir sagen, ich hab im Sinn ich will ausziehn nach Sechaure (Ware) un will sonst auch ein Handwerk lernen damit ich auch die Welt besehe un will sehen womit die Leut das Ihrige gewinnen. Ich bin eben derheim gleichwie ein heimgezogen Kalb, das nix weiß von der Welt.« Da sprach der Kaiser: »Was willst du denn tan? Willst du ein Kaufmann werden, daß du gewinnen sollst? Bleib du lieberst hie, ich will dir all meine Auzraus (Schätze)[87] geben, daß du Geld genug sollst haben, wenn du schon nit wanderst.« Da sprach er wider: »Lieber Vetter, ich will nach Ware ziehn. Neiert ich begehr dein Ezeh (Rat), wie ich soll Handlung treiben, was ich kaufen soll oder nit kaufen soll.« Da sprach der Kaiser: »Nun, weil du willst ja nach Se haure (Ware) ziehn, so sieh all die Ware, die gar schofel (schlecht) is, un Niemand will sie kaufen. Dieselbige Ware kauf du, denn es kommt die Zeit, daß dieselbige Ware hintennach gar teuer wird, da kannst du am allermeisten dran gewinnen.« Da zug er hinweg un zug in Erez Iisroel un lernt Thauroh. Nit lang dernach, da sahen ihn Rabbi Elieser un Rabbi Jehauschue. Da sagt einer wider den Andern: »Sieh, wie sieht der Onkeles so gar jämmerlich (aus). Er wird gewiß haben Thauroh gelernt, denn der die Thauroh lernt, der wird gar bleich.« Wie er nun zu die zwei Rabbonim kam, da fragt er sie viel Kasches (Fragen) un sie beantworteten sie alle un dernach zieht er wieder heim zum Kaiser. Un da ihn der Kaiser ansah, da fragt er ihn: »Lieber, sag mir, warum siehst du so gar übel? Ich will glauben, du hast gewiß viel an deiner Ware verloren, oder es hat dir sonst einer eppes (etwas) zuleid getan.« Da sprach er: »Nein, wer will mir tan allderweil als du lebst? Denn jedermann hat große Forcht vor dir auf der Erden.« Da sprach der Kaiser: »Warum siehst du denn so gar jämmerlich?« Da sprach er: »Adauni (Mein Herr) ich will dir sagen, warum ich so gar jämmerlich sehe. Ich hab die Thauroh gelernt un noch mehr, ich hab mich selberst gejüdischt (beschnitten).« Da sprach der Kaiser: »Wer hat dich das geheißen?« Da sprach der Onkeles wider: »Mit dir hab ich mich beraten, un du hast mir die Ezeh (Rat) derzu gegeben.« Da sprach der Kaiser: »Wann hab ich dir mein Ezeh derzu gegeben?« Da sprach er wider: »Da ich wider dir sagt, ich wollt ausziehn nach Ware kaufen, da hast du deine Ezeh (Rat) derzu geben, welche Ware am schofelsten (schlechtesten) is, dieselbige Ware soll ich kaufen, denn es wird eine Zeit kommen, daß sie wird joker (teuer) werden un da wirst du zum allermeisten dran gewinnen. Da bin ich gezogen die ganze Welt aus, un hab kein Volk auf Erden gesehen, das man schofler sollt halten als das Volk Iisroel. Un dasselbige Volk wird hintennach gar choschew (vornehm) werden, wie wir gefinden daß Jeschaje (Jesaias) spricht: Hört ihr Kinder Iisroel, zu den verschämten, zu den unverwerdigen alle Völker zu hören. Zum letzten sie werden kommen, die Könige un die Herren, un sie werden sich neigen zu ihm. Derhalben hab ich dieselbige Ware gekauft, weil sie itzunder so nieder is un wird hintennach so hoch werden. Wie du mich geheißen hast, so hab ich dir gefolgt.« Da sagt der Kaiser wieder: »Von weshalben hast du dich denn bekehrt, oder daß du dich hast lassen jüdischen?« Da sprach er: »Von destwegen ich hab begehrt Thauroh zu lernen.« Da sprach der Kaiser wieder: »Du hast wol können Thauroh[88] lernen un hast dich nit dürfen lassen jüdischen.« Da sprach er wider: »Ich will dir ein Beispiel sagen. Man überantwortet keinem das Schiff, daß er mit fahren soll oder er muß den Segelbaum wol recht aufstellen un kann ihn wenden un kehren dem Wind nach, wie es sich nun gebührt. So is auch in der Welt, es kann keiner nit Thauroh lernen, daß ihm die Thauroh in seiner Hand bleibt, er muß sich vor(her) lassen jüdischen, wie der Posuk (die Schrift) geht: ›Zu wem sagt Gott seine Red un seine Thauroh un sein Gesetz?‹ Zu dem der da gejüdischt is, so Jakew gewesen is, aber tut es nit zu den andern Völkern, die da nit gejüdischt sind.« Derhalben hab ich mich lassen jüdischen un Thauroh gelernt.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 87-89.
Lizenz:
Kategorien: