Hundertdritte Geschichte

[95] geschah: Es haben gelernt die Rabbonim. Der Posuk geht (die Schrift sagt): Jeglicher soll ein Mensch sein, so weich, als ein Rohr, das da is gar weich, un soll nit sein so hart, als ein Tannenbaum, der is gar hart un hoch. Das meint so: der Mensch soll nit hoffärtig sein un soll sich gar niedrig halten. Denn es geschah eine Maasse (Geschichte) an einem, der hat geheißen Elieser ben Schimen. Der kam von seinem Rabbi von einer Stadt, die hat geheißen Migdal gedur. Un er reitet auf einem Esel bei einem Wasser spazieren. Un er freuet sich gar sehr, un war gar hoffärtig drauf dieweil er so gar viel Thauroh gelernt hat. Un wie er nun so reitet, da begegnet ihm ein großer schwarzer Mann, der gab ihm Scholaum (Friedensgruß) un sprach: »Scholaum alecho (Friede mit dir) Rabbi.« Da antwortet ihm Rabbi Elieser kein Scholaum. Neiert er sprach zu ihm: »Sag du, Recke, sind die Leut in deiner Stadt alle so schwarz gleich du bist?« Da sprach der Mann: »Ich weiß es nit, aber geh hin zu dem Meister, der mich gemacht hat, un sag gegen ihn, wie hast du so ein schwarz niwsig (häßlich) Gerät gemacht?« Wie nun der Mann so fremd mit ihm redet, da merkt Rabbi Elieser wol, daß er gar Unrecht geredet hat, un hätt gegen den Heiligen, gelobt sei er, gesündigt. Da stieg er von dem Esel ab un fällt dem Mann zu Füß, un sagt: »Lieber sei mir mauchel (verzeihe mir), daß ich wider dich geredet hab, denn ich hab mich nit recht besonnen.« Da sprach der schwarze Mann: »Ich bin dir nit mauchel so lang bis du gehst zu dem Umon (Künstler), der mich gemacht hat, un fragst ihn, warum er so ein schwarz Gerät gemacht hat.« Un der Mann ging von ihm weg. So ging ihm Rabbi Elieser ben Schimen nach bis in seine Stadt, da er in wohnt. Da kamen die Leut Rabbi Schimen[95] entgegen un sprachen zu ihm: »Scholaum alecho Rabbi umauri« (Friede mit dir mein Rabbi un Lehrer). Da frägt der schwarze Mann: »Zu wem sagt ihr so?« (Rabbi umauri (Lehrer).) Da sagten die Leut: »Zu dem, der dir hinten nach geht.« Da sprach der schwarze Mann: »So das ein Rabbi is, so soll sich keiner von seines Gleichen unter Iisroel mehren.« Da frägten die Leut ihn: »Westhalben, was hat er dir getan?« Da sagt er ihnen die Geschichte, wie es zugegangen war. Da sprachen die Leut wider den schwarzen Mann: »Wir bitten dich, hat er dir eppes Leids getan, sei es ihm mauchel (verzeihe ihm), denn er is gar ein köstlicher Mann in der Thauroh.« Da sagt er: »Um euretwillen will ich ihm verzeihen. Anderst hätt er müssen bei dem Meister gehn un ihn fragen, warum er mich so schwarz gemacht hat. Aber weiters soll er gewarnt sein, daß er solches nimmer mehr tun soll.« Alsobald ging Rabbi Elieser ben Schimen in das Bethhamidrasch (Lehrhaus) und darschent lehrt: Für immer soll der Mensch sein so biegsam wie das Rohr un nit so hart wie die Ceder. Aber Raschi macht: Der schwarze Mann war Elijohu hanowi (der Prophet Elia) gewesen, der war sich befleißen, er wollt ihn strafen, daß er nit hoffärtig sollt sein auf seine Thauroh.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 95-96.
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