Hundertachtunddreißigste Geschichte

[129] geschah: Rabbi Elieser ben Hurkenes. Der kriegt (streitet) mit seinen Chawerim (Gesellen), un alles, was Rabbi Elieser für rein gesagt hat, das haben die Chachomim (Weisen), unrein gesagt, un wollten Rabbi Elieser nit gewonnen geben. Da bracht Rabbi Elieser alle die Tschuwaus (Antworten, Auslegungen), die im Aulom (Welt) waren. Noch gleichwol wollten sie ihm nit gewonnen geben. Da lernten sie eben bei einem Buchshornbaum. Da sagt Rabbi Elieser: »Hab ich anders wahr, der gleich wie ich die Haloche sagt, da soll sich der Buchshornbaum ausreißen mit seiner Wurzel un soll sich stellen auf einen andern Platz.« Da geschah ein Ness (Wunder), daß sich der Baum mit der Wurzel ausreißt von seiner Statt un stellt sich über hundert Ellen weit auf eine andere Statt. Ein Teil sagen vierhundert Ellen weit. Da konnt man wol derkennen, daß Rabbi Elieser gleich (recht) hat. Da sagten die Chachomim (Weisen): »Wir kehren uns nit an den Baum. Wir geben dir doch nit gewonnen.« Da sprach Rabbi Elieser: »Hab ich anders wahr mit meiner Haloche, da soll sich der Wasserstrom verkehren un soll hinter sich laufen, gleich wie er nun vor sich lauft.« Da geschah ein Ness (Wunder), daß der Strom hinter sich lauft. Da sah man wieder, daß Rabbi Elieser gleich (recht) hat. Da sagten die Chachomim: »Wir kehren uns an den Wasserstrom auch nit.« Da sagt Rabbi Elieser wieder: »Hab ich wahr mit meiner Haloche, so sollen die Wände von dem Bethhamidrasch (Lehrhaus) einfallen, un soll bewähren zwischen uns, wer gleich hat.« Da hebten die Wände an, un biegten sich un wollten einfallen. Da schreiet sie Rabbi Jehsauchue an, un sprach: »Obschon die Talmidechachomim (Schriftgelehrten) kriegen (streiten) in der Haloche, wollt ihr euch darum zwischen sie legen?« Da stunden die Wände also still, un wollten nit einfallen, aus Kibud (Ehrfurcht) von Rabbi Jehauschue wegen, derweil er sie hat angeschrien. Un wollten sich auch nit wieder aufrichten von Kibud Rabbi Elieser wegen. Da hebt Rabbi Elieser wieder an: »Hab ich anderst wahr mit meiner Haloche, so soll ein Baskol (Stimme) von dem Himmel kommen un soll bewähren zwischen uns, wer da wahr hat.« Da kam ein Baskol vom Himmel un sagt: »Was wollt ihr kriegen mit Rabbi Elieser? Die Haloche is gleich wie Rabbi Elieser sagt.« Da sprachen die Chachomim (Weisen) wider: »Wir kehren uns nix an die Baskol, denn der Heilige, gelobt sei er, hat in seiner Thauroh geschrieben, die Haloche is allzeit so: Wenn einer mit vielen streitet, da bleibt die Haloche bei den meisten, un nit wie einer sagt. Un darum wollen wir ihm nit gewonnen geben.« Da gefandt eben dasselbige mal Rabbi Nothen den Elijohu hanowi (Prophet Eliahu). Da fragt Rabbi Nothen den Elijohu hanowi: »Lieber, sag mir, was hat dieselbige Zeit Gott getan, da der Streit is zwischen den Talmidecachomim[130] (Schriftgelehrten) gewesen?« Da sagt Elijohu hanowi: »Gott hat es gesehen un hat gelacht, un gesagt, sie haben mich übersiegt, meine Kinder Iisroel.« Wider hat der Heilige, gelobt sei er, nit geredet. Da gingen die Chachomim hin un täten den Rabbi Elieser in Cherem (in Bann). Da sagten die Chachomim: »Wer soll es den Rabbi Elieser lassen wissen, daß er in Cherem is? Vielleicht sagt ihm's einer, der nit würdig is dazu, daß er ihm's soll sagen.« Da sagt Rabbi Akiwe: »Ich will gehn un will ihm's wissen lassen.« Da ging Rabbi Akiwe hin, un kleidet sich ganz schwarz als wär er ein Owel (Trauernder) un stellt sich vor ihn, vier Ellen weit. Da frägt er ihn: »Lieber Rabbi, warum hast du heut mehr schwarze Kleider an, als einen andern Tag?« Da sagt er wider: »Lieber Rabbi, mich deucht deine Chawerim (Gesellen) haben sich von dir abgeschieden, un haben dich in einen Cherem getan.« Un da er das hört, da ging er hin un tät seine Schuch aus, un zuriß seine Kleider, un setzt sich auf die Erd, un trauert gleich als wenn ein Mess (Leiche) wär vor ihm gelegen, un schrie gar sehr. Un in derselbigen Zeit, als man ihn hat in Cherem getan, der war der ganze Aulom (die Welt) geschlagen geworden, das dritte Teil mit Ölbeeren, un das dritte Teil mit Gerste, un das dritte Teil mit Weizen. Das is alles kilojon (unverwendbar) geworden. Ein Teil Leute sagen, der Teig, den die Weiber haben in den Händen gehabt, der war auch all kilojon geworden. Un ein böser Tag is gewesen das selbige mal, da man Rabbi Elieser in Cherem hat getan. Un was der Rabbi Elieser denselbigen Tag hat angesehen, das verbrennt alles. Un der Nasi (Führer) unter ihnen, der war Rabben Gamliel, der hat ihn helfen in Cherem tun. Un der war derzu ein Schwager seines Weibes Bruder. Eines Tages da war der Rabbi Elieser gesessen un hat Tefille (Gebet) getan. Da war Rabben Gamliel eben auf einem Schiff auf dem Meer. Da war ein großer Wind gekommen un hat wollen das Schiff umkehren. Da hat Rabbi Gamliel gesagt: »Mich dünkt, daß mir's so übel geht, das kommt mir her von Rabbi Elieser ben Hurkenes, weil ich ihn mit hab in Cherem getan. Da hub er an un tät Tefille (beten), un sagt: ›Herr all der Welt, es is zu wissen vor dir, daß ich das nit hab getan von meinem Kowed (Ehre) willen, un auch nit von meines Vaters Kowed wegen, neiert von deinem Kowed wegen, daß sich nit soll Krieg (Streit) mehren zwischen Iisroel, daß sich einer nit soll kriegen mit vielen Leuten.‹ Un wie er also eine große Tefille (Gebet) tut, da hört das Meer auf zu wehen un war ganz still. Da wollt des Elieser's Weib den Mann keine Techines (Bittgesang) mehr lassen sagen, denn sie fercht sich er wird ihren Bruder Rabben Gamliel um das Leben bringen, wie ihm schier dasmal geschehen war. Einestags einmal, da kam ein Oni (Armer) vor die Tür, un bittet um ein Stück Brod. Da ging sie heraus un wollt ihm ein Stück Brod geben. Derweil sie hinaus ging, derweil fiel Rabbi Elieser auf[131] sein Ponim (Angesicht) un sagt Techines. Da kam das Weib im fand ihn, daß er Techines sagt. Da sagt sie wider ihn: ›Weh, weh, steh auf, du hast mir meinen Bruder um das Leben gebracht.‹ Un wie es nun noch eine Weil anstund, so kam ein Geschrei: Rabbi Elieser, der hat nun Rabben Gamliel um das Leben gebracht. Da sagten die Leut wider Rabbi Elieser sein Weib: ›Wie hast du es gewußt, daß dein Bruder is gestorben?‹ Da sagt sie: ›Ich hab so mekabel (empfangen) von meinem Vater, daß alle die Pforten sind zugeschlagen, sonder die Pfort, wenn man einen zu unrecht in Cherem tut.‹ Derhalben soll keiner wieder, wider ein ganz Kohel (Gemeinde) tun. Wiewol daß Rabbi Elieser ein köstlicher Mann war un hat doch vor dem Heiligen, gelobt sei er, gewonnen gehabt, noch gleichwol haben sie ihn in den Cherem getan, denn man soll nit wider ein ganz Kohel tan, wenn ihn schon deucht, er hätt recht getan. Un soll die Frommkeit bei sich haben, un soll gedenken, was zum letzten dervon kommen kann.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 129-132.
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