Hunderteinundfünfzigste Geschichte

[151] geschah in den Tagen von Rabbi Akiwe. Da lag ein Mann bei einer Bsuloh (Jungfrau) am Jomkipur (Versöhnungstag). Un die Bsuloh, die war entspust (verlobt) mit einem andern Mann. Un sie hat dazu sollen bald Broche tun (getraut werden). Da war man es gewahr, denn es is so viel, wie wenn einer, Gott bewahre, war mit einer Esches Isch (verheirateten Frau) gewesen. Also hätt man ihn hinaus geführt um zu versteinen (steinigen) gleich wie auch geschehen is. Nun, seine Frau, die blieb von ihm tragen, un etliche Wochen dernach gewann sie einen Sohn. Da wollten ihn die Leut nit jüdischen (beschneiden) denn sie meinten, daß aus dem Jungen nix Gutes sollt werden, derweil sein Vater so eine böse Geschichte hat getan. Nun, es begab sich einmal, daß Rabbi Akiwe über Feld ging. Da begegnet ihm einer, der tragt eine große Last Holz auf sich, das kein Esel oder Pferd tragen könnt. Da sagt Rabbi Akiwe zu ihm: »Ich beschwöre dich, bei dem Namen des Heiligen, gelobt sei er, daß du mir sollst sagen, ob du ein Mensch bist oder ein Sched (ein Dämon) oder was du für ein Beschäffnis (Geschöpf) bist.« Da sagt der Mann: »Ich bin ein Mensch gewesen un bin abgeschieden von dieser Welt, un alle Tag muß ich so eine Last Holz tragen, daß man mich darauf verbrennt, alle Tag drei mal.« Da fragt ihn Rabbi Akiwe: »Was hast du denn getan?« Da sagt er wider Rabbi Akiwe, wie er war bei eine Bsuloh gelegen am Jomkipur. Un die Bsuloh war zu einem andern Mann entspust gewesen. Un noch mehr hab ich getan. Ich bin ein Gabbe-Zdoke (Almosen-Verwalter) gewesen, ich hab die reichen Leut verschont, un hab nit so viel von ihnen genommen, gleich wie auf sie kommen is, aber dagegen haben mir die Armen mehr müssen geben. Da frägt ihn Rabbi Akiwe: »Hast du nit gehört ob dir zu helfen is?« Da sprach der Mann wider: »Lieber Rabbi, halt mich nit auf, denn die über mich gesetzt sind, die werden über mich lernen (urteilen), dann wär mir nit zu helfen. Aber das is was ich gehört hab: Wenn ich einen Sohn sollt haben, der da möcht Kaddisch (Totengebet) sagen, da möcht mir geholfen werden.« Da frägt ihn Rabbi Akiwe ob er keinen Sohn hätt gelassen. Da sagt er nein, sonder allein mein Weib hat getragen, aber ich weiß nit was sie gewonnen hat. Un wenn sie schon einen Sohn hat gewonnen, dann werden ihn die Leut doch nit lassen Thauroh lernen, denn sie haben mich feind. Da frägt ihn Rabbi Akiwe wie sein un seinem Weib seine Stadt heißen. Da sagt er alles, un ging seiner Straß hinweg. Da nahm Rabbi Akiwe auf sich, daß er in dieselbige Stadt will ziehn, un wollt dem Mann helfen, wenn es möglich is. Un zug also in die Stadt hinein. Un da er nun in die Stadt kam, da kamen die Ältesten, die in der Stadt waren, ihm entgegen un waren ihn sehr mekabed (un ehrten ihn sehr). Da frägt[152] Rabbi Akiwe: »Hat nit einer in dieser Stadt gewohnt, der also geheißen hat?« Da sagten die Leute, ja, vor langer Zeit is er hier versteint worden. Da frägt er nach dem Weib. Da sagten sie, ei, jemach Schemau (sein Name werde verlöscht) muß sie werden. Sie is nit mehr hie, sie is weg gezogen. Da fragt Rabbi Akiwe: »Hat er keinen Sohn gelassen?« Da sagten sie, ja, aber er war noch nit gejüdischt geworden. Da lernt Rabbi Akiwe über sie, daß sie den Jungen nit gejüdischt haben, wenn schon der Vater is nit gut gewesen, was kann das Kind derzu? Es kann darum wol gut werden. Un Rabbi Akiwe schickt nach dem Jungen un jüdischt ihn un wollt Thauroh mit ihm lernen. Da konnt er nix in ihn bringen. Da nahm Rabbi Akiwe vierzig Tage fasten auf sich, un tät Tefille (betete) vor Gott, daß er ihn derhört, un hät ihn Thauroh gelernt un lernt ihn oren un benschen (beten) un stellt ihn in die Schul, daß er Borchu Kaddisch sagt. Un die ganze Gemeinde antwortet ihm. Alsobald kam der Mann aus dem Gehinnem (Hölle) in das Gan Eden. In derselbigen Nacht kam der Mann wieder zu Rabbi Akiwe un sprach zu ihm: »Der Heilige, gelobt sei er, soll dir's bezahlen auf der Welt. Denn warum? Du hast mich derlöst aus dem Gehinnem.« Da sprach Rabbi Akiwe: »Des Heiligen, sein Name sei gelobt, seine Gerechtigkeit die is ewiglich von Gebirt zu Gebirt (Geschlecht zu Geschlecht). Derhalben spricht der Heilige, gelobt sei er, ich hab dich auf die Welt beschaffen, darum sieh un tu gute Werke un lern Thauroh un tu Mizwes (Guttaten) denn eine Mizwe bringt die andere Mizwe un eine Awere (Sünde) bringt die andere Awere.« Derhalben soll ein jeglicher Mensch würdig sein, daß er soll einen Kaddisch (Sohn) haben, der ihn aus dem Gehinnem in das Gan Eden bringt, als wie dem Mann auch geschehen is.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 151-153.
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