Hundertsiebenundsechzigste Geschichte

[171] geschah an Rabbi Schmuel Chossid, der kam auf eine Zeit in Köln an den Rhein um daß er Zdoke sollt empfangen, denn er hat nit viel in seinem eigen. Da bittet er das Kohel (die Gemeinde) von Köln, daß sie ihm sollten eine Hilfe tan, denn es ging ihm gar schlecht un er hat ein groß Gesind über sich. Da ging das Kohel hin, un stellten ihm zwei Talmidimchachomim (Schriftgelehrte), daß sie sollten umgehen in[171] der Kehille (Gemeinde) un sollten die reichen Leut ansprechen, um dem Rabbi Schmuel Chossid eine Hilf zu tan. Also hebten sie ihm wol siebenzig Gulden auf. Un die zwei Rabbonim kamen in einem reichen Mann sein Haus, un baten ihn auch um eine Hilf. So nahm derselbige reiche Mann einen Pfennig mit lauter Zorn un warf es auf die Erd. Un sagt wider die zwei Talmidimchachomim, sie sollten den Pfennig wieder aufheben un sollten ihn dem Rabbi Schmuel Chossid geben. Denn er war ein karger Mann auf Zdoke (Almosen) geben. Also verdrießt es die Talmidimchachomim gar sehr auf ihn. Also ließen sie den Pfennig auf der Erd liegen un gingen wieder zu Rabbi Schmuel un gaben ihm das Geld, welches sie hatten aufgenommen in der Kehille. Un verzählten dem Chossid wie der Parness (Vorsteher) hat einen Pfennig auf die Erd geworfen, un hat uns geheißen wir sollen aufheben, aber wir haben ihn nit aufgehoben. Da sagt der Chossid wider die zwei Rabbonim: »Ihr liebe Brüder, geht hin un nehmt den Pfennig auf, un gebt ihn mir. Denn weil der Heilige, gelobt sei er, auf mich also geschickt hat, daß ich, Gott bewahre, Leute bedarf, so soll man nix verschmähen, es sei was es is, viel oder wenig.« Da gingen die zwei Rabbonim wieder zu dem reichen Mann, un sagten ihm, wie der Chossid geredet hat. Da solches der Parness hört, da kriegt er große Charote (Reue) darauf, daß er also ein Sach getan hat. Da ging der reiche Mann selbert zu dem Chossid un bittet ihn gar sehr, daß er's ihm sollt verzeihen. Un gab dem Chossid viel Geld, gleich wie es billig war, wie der Posuk (Schrift) sagt: Einem frommen Menschen kommt seine Speis vom weiten Land.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 171-172.
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