Hundertachtundsechzigste Geschichte

[172] geschah dem Rabbi Schmuel Chossid, der zieht einmal auf die Jeschiwe (Lehrhaus) zu lernen. Un wie er auf das Feld kam, kommen drei Jehudim zu ihm, die wollten auch den Weg ziehn, wo der Chossid hin wollt. Also zugen die miteinander fort un kamen in einen großen Wald, da sie durch mußten gehn. Also gingen sie den ganzen Tag irr, daß sie nit wußten wo sie waren. Wie es nun schier Nacht war, da sah der Chossid hin un her ob er konnt irgents ein Haus dersehn. Zum letzten sah der Chossid in dem Wald ein Haus stehn. Da ruft der Chossid seine Gesellen auch. Da kamen sie zu ihm. Da sagt er zu ihnen: »Meine lieben Gesellen, seid fröhlich, denn ich hab dorten ein Haus gesehen stehn, aber hütet euch bei euerem Leib, daß ihr nit hinein geht, denn ich will vor allein in das Haus gehn, un will sehn was für Leut drinnen wohnen.« Also ging er von seinen Gesellen weg un ging in das Haus. Un wie er in das Haus kam, da sah er bei dem Feuer viel Töpfe stehn. Aber der Chossid sah niemand[172] im Haus. Da wollt er umkehren un wollt seine Gesellen auch rufen. Un da er wollt heraus gehn, da begegnet ihm ein alter, greiser Mann, der hat einen schneeweißen Bart. Da gab der Alte dem Chossid Scholaum (Friedensgruß). Der Chossid dankt dem Alten wieder. Da sprach der Alte: »Bleib heut hinnen bei mir in meinem Haus, ich will dir zu essen un zu trinken geben.« Da sprach der Chossid: »Wenn ich schon hinnen bleib, wo bleiben meine Gesellen, die dorten im Wald herum gehn?« Da sagt der alte Mann: »Deine Chawerim (Gesellen), die dorten im Wald gehn, laß sie man fort gehn, denn sie sind wol wert, daß sie die wilden Tiere essen. Denn sie sind große Reschoim (Sünder) un sie sind bös in all ihren Werken. Aber gleichwol sie sollen dein Sechus (Verdienst) genießen, un heiß sie auch herein gehn. Un laß sie auch mit essen un trinken. Aber weiter sei gewarnt, daß du nit weiters mit ihnen wanderst, daß dir nit eppes Böses, Gott bewahre, von ihretwegen sollt geschehn.« So ruft der Chossid seine Chawerim un heißt sie auch hinein. Da lagen sie die Nacht drinnen un eßt un trinkt un ließen sich wol sein. Nach dem Essen nahm der alte Mann den Chossid in ein Cheder (Zimmer) un sagt gegen ihn: »Ich bin der Prophet Jeremia.« Un weist ihm viel Seforim (Bücher) die er gemacht hat. Da innen stund nix anderes als eitel Kines (Klagelieder), die er auf Chorbon Jeruscholajim (die Zerstörung Jerusalem) gemacht hat. »Un alle Tag geh ich in die weite Welt, un klag auf Chorbon Jeruscholajim.« Zu morgens, da nun der Chossid wollt weg gehn, da nahm er Abschied von dem alten Mann. Un der alte Mann benscht (segnet) den Chossid. Un der alte Mann weist sie auf den rechten Weg durch den Wald, sonst hätten sie noch lang müssen in dem Wald umgehn. Denn es war ein großer langer Wald, un hielten sich auch viel Gaslonim (Räuber) un wilde Tiere drinnen. Wie nun der Chossid von dem alten Mann ging, da sagt er es seinen Chawerim, wie der alte Mann zu ihm gesagt hat, wie ihr große Reschoim (Sünder) wärt, un von meinem Sechus (Verdienst) wegen, seit ihr heut in seinem Haus gelegen, sonst hätten euch die wilden Tiere die Nacht aufgegessen, von wegen euere böse Werke, die an euch sind. Da sie solche Rede hörten, daß ihre Aweres (Sünden) offenbar sind geworden, da schreien sie gegen den Chossid, un baten ihn um Tschuwe (Buße) auf ihre Aweres (Sünden), denn sie hatten großen Chorote (Reuen) auf ihre Aweres, die sie getan haben. Sie wollten gern Tschuwe tun. Da setzt ihnen der Chossid eine Tschuwe un sagt wider sie: »Werdet ihr die Tschuwe recht tun, die ich euch aufsetzen werde, wol euch. Dann hab ich kein Zweifel an euch, daß ihr in das Gan Eden (Paradies) kommt, un werdet Anteil an Jener Welt haben. Tut ihr aber euere Tschuwe nit recht, die ich euch setz, dann werdet ihr nit das Jahr ausleben, un werdet einen schändlichen Tod sterben.« Da sagten sie: »Lieber Rabbi, alles was du uns aufsetzt, das[173] wollen wir mit ganzem Herzen tun, noch lieber mehr als weniger.« Also zugen sie miteinander bis in die Stadt, da er wollt Thauroh lernen. Un wie sie nun in der selbigen Stadt waren, so gingen sie in die Schul (Bethaus) un stellten sich vor den Oraun hakaudesch (heiligen Lade) un sagten: »Da, höret zu, ihr Rabbonim, wir sind große Sünder.« Un sagten ihre Sünden, die sie getan haben. Also haben wir Buße genommen von diesem Chossid. Die wollen wir recht tun, gleich wie er uns aufgesetzt hat. Un täten auch ihre Buße recht. Da kam einmal dem Chossid bei Nacht ein Stimm, un sagt, sei wissen, daß die Buße von den Dreien is vor den Heiligen, gelobt sei er, gar wol angenommen, un sie werden Anteil an Jener Welt haben. Zu Morgen stund der Chossid auf, un ging in die Schul un darschent (lehrt), daß niemand soll verzweifeln an sich selbert, un soll auch einer nit denken, ich hab viel Sünden getan, ich kann sie nimmer büßen, ich will keine Tschuwe tun, was hilft mir mein Tschuwe tun. Darum soll jeder ein Beispiel nehmen an den drei Leuten, die da haben viel Aweres (Sünden) getan, denn sie sind große Sünder gewesen. Un sie wären wol wert, daß sie die bösen Tiere sollten essen, wie mir der alte Mann auch gesagt hat. Noch dennoch, da sie ihre Tschuwe haben recht getan, die ich ihnen aufgelegt hab, da haben sie wieder Anteil an Jener Welt bekommen, gleich als wenn sie nit hätten gesündigt. Un sind viel reiner geworden. Denn unsere Chachomim (Weisen) haben gesagt, wo die Leut hinkommen, die da Tschuwe tun auf jener Welt, da können sogar rechte Zaddikim (Fromme) mit hin. Ursachhalben ein rechter Zaddik, der is alle Zeit fromm gewesen, der hat keinen bösen Gedanken, noch böse Werke gehabt. Aber die bösen Leut, die Sünder sind gewesen, un dernach tun sie Buße, die selbigen sind ihren Jezerhore (bösen Trieb) kaufe (bezwingen), daß sie die Awere (Sünde) nit mehr tun, die sie vor getan haben. Der Chossid war drei Jahre bei dem Lernen, un dernach zug er wieder heim bescholaum (in Frieden).

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 172-174.
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