Hundertsechsundsiebzigste Geschichte

[187] geschah zu Regensburg. Da waren zwei Maurer, die arbeiten bei einem Juden in der Judengassen. Un wie sie arbeiten, da sahen sie in der Juden Kammer viel Silber un Gold liegen. Da beredeten sie sich miteinander, daß sie sollten miteinander in die Kammer einsteigen, derweil die Juden in der Schul waren, un alles hinweg nehmen. Un sie taten auch so un steigten hinein un nahmen viel Chefzes (Schätze) von Silber un von Gold. Da gedacht sich einer von den Maurern, was soll mir ein Chawer (Geselle)? Ich will es wol allein ausrichten. Un ging hin, schlug seinen Chawer, da er hat wollen zum Loch heraus kriechen, mit einem Hammer in seinen Kopf, daß er herabfiel in die Kammer un war tot. Un nahm das Silber un Gold alles von dem Peger (Toten) un lauft hinweg dermit. Da waren nun die ganzen Juden in der Schul. Un wie sie nun aus der Schul kamen da gefand der Baalhabajis (Hausvater) von dem Haus in seiner Kammer ein Peger (Toten) liegen. Da derschraken sie. Da wollten sie den Peger im Geheimen hinweg tun, denn sie ferchten sich vor einem Überlauf, Gott bewahre, als schier geschah. Da hat man es bauten (draußen) in die Gojimgaß (Christengasse) gewahr geworden, wie Jehudim hätten einen Goj (Christen) getötet. Un kamen viel Gojim in die Judengassen zu laufen un wollten, Gott bewahre, eine Gesere (Unglück) machen. Da kam Rabbi Jehude Chossid auch zu gehn un luf flugs zum Rosch Iren (Bürgermeister) un sagt: »Mein Herr, was wollt ihr da tun? Wollt ihr von einem toten Mann so viel Volk umbringen? Un ihr wißt doch wol, daß wir's nit getan haben, denn die zwei haben hinnen gearbeitet. Un ich will es euch beweisen, daß einer den andern hat umgebracht.« Da sprach der Rosch Iren zu ihm: »Wenn du willst mir das beweisen, da soll keinem von euch ein Leid widerfahren.« Un heißt die Gojim wieder still halten in den Gassen. Da sprach der Chossid: »Laßt neiert die Pforten zu tun, daß mir der Mörder nit kann weglaufen.« Da geschah es alsobald. Da ging der Chossid hin un schrieb eine Kamë (Amulett) mit heiligen Schemaus (Namen) un gab sie dem Horug (Getöteter) in die Hand. Da stund der Horug wieder auf un sah sich um. Da dersah er ihn hinter einen andern verborgen stehen. Da lauft er[187] zu ihm un sagt zu ihm: »Du Mörder, du hast mich um mein Leben gebracht. Un das hast du darum getan, um daß du die Genewe (Diebsgut) hast gern alleinig gehabt. Un du bist hingegangen, un hast mit dem Hammer vor meinen Kopf geschlagen, daß ich bin herab gefallen wieder in die Kammer hinein.« Da nahm man ihn un legt ihn ins Gefängnis un war gleich so worden verurteilt zum Tod. Als ihm auch geschah. Da sagt der Chossid zu dem Rosch Iren: »Sagt nun, wenn ich euch hätt nit aufgehalten, so hätt ihr viel unschuldig Blut vergossen.« Da sagt der Rosch Iren, es wär wahr gewesen. »Darum lieber Meister, verzeiht es mir, es soll nimmer mehr geschehn, oder ich soll erst sehen auf die rechte Wahrheit zu kommen.« Nun der Peger (Tote) hat viel reiche Freunde, so baten sie den Chossid er sollt den Peger lassen leben, sie wollten ihm viel Geld zu Lohn geben. Aber es war keine Meinung bei dem Chossid, denn er sagt, er darf es nit tun. So nahm er die Kamë wieder von dem Horug. Da fiel er wieder nieder wie ein anderer Peger auch. Un der Rosch Iren tät dem Chossid viel Gutes dernach.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 187-188.
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