Zweihundertsechsundvierzigste Geschichte

[336] geschah an einem Bocher (junger Mann), der is all sein Lebtag dem Wolleben nachgegangen: mit zechen, mit spielen, mit fressen un mit saufen. Un hat seinem frommen Vater un Mutter nit wollen folgen. Un hat sich gesetzt zu eitel Buben un Ganowim (Dieben). Un er war so lang bei ihnen bis daß er das ganewen (stehlen) besser gelernt hat, besser als all die Ganowim, die seine Gesellen sind gewesen. Wie er nun mit der Buben is umgezogen, so is er das Bubenleben müd geworden. Da gedacht er sich: »Was wird aus mir werden, wenn ich nun lang werd in dem Land umlaufen un werd ganewen? Was wird aus mir werden? Lesof (am Ende) werd ich um mein Leben kommen.« Un gedacht sich, ich will wieder von meinem bösen Weg abkommen, un will zu meinem lieben Vater un Mutter heimziehn. Un hatt' große Charote (Reue) auf dasjenige, was er getan hat für böse Stücke. Un finget an un schreit un weint gar sehr auf seine böse Werke, die er getan hat. Un hebt sich auf un ging zu Schimen ben Schotach. Der war gar ein köstlicher Mann. Un sprach zu ihm: »Lieber Rabbi, ich hab mir vorgenommen, daß ich von dem bösen Leben will ablassen un will Tschuwe tun (Buße)«. Wie das Schimen ben Schotach hört, da sprach er: »Mein Sohn, setz dich nieder zu meiner rechten Seiten, un laß ab von deinem Weinen un sei derhalben nit traurig. Denn ich will dir mit einer geringen[336] Sach helfen, daß dir eine Refue (Heilung) soll zu deiner Make (Krankheit) sein, un daß du von deinen bösen Werken ablassen sollst. Mein Sohn, das is die Sach, die du tun sollst: sei neiert gewarnt an all deinen Werken, daß du kein Scheker (Lüge) sagst. Un sei gewarnt, daß du keinem ein Unrecht tust. Wenn du wirst nit mehr übel handeln un nimmer straucheln, so wirst du beschirmt werden von allem Bösen«. Da sagt der Bocher: »Lieber Rabbi, das is eine kleine Sach. Das is gar wol zu halten un ich will's auch halten, lieber Rabbi, das sollt ihr wol spüren un sehen«. Da sagt der Schimen ben Schotach »So du es halten wirst, so schwör mir einen Schwur, daß du kein Scheker sagen willst un nit unrecht handeln willst.« Un ging so fort heim zu. Nun, es stund eine Weil an, da wohnt eine Almone (Witwe) neben seinem Vater. Die hat ein Merchez (Bad) in ihrem Haus, daß jedermann sich drinnen wäscht un badet. So ging der Bocher auch einmal in das Merchez in seines Nachbarn Haus. Da sah er, wie er sich wollt ausziehn, in einem Cheder (Zimmer), da war viel köstlich Gezeug drinnen von Silber un Gold un leinen Gewand. Wie er nun solches sah, da kam der Jezerhore (der böse Trieb) wieder zu ihm un macht ihm eine Lust zu ganewen. Un ließ sich verführen von dem Jezerhore un steigt in das Haus der Witwe seiner Nachbarin ein. Un ganewt alles was sie drinnen hat von silberen un goldem Geräten, von Leilicher (Leinlaken) un alles was sie in dem Cheder hat. Er ließ gar nix liegen un nahm alles mit. Un wie er nun solches bei sich hat un wollt herausgehn aus dem Haus da gedacht er sich: »Wenn meine Nachbarin solches Gezeug wird mangeln un wird klagen um ihren Mammon, un wird jedermann dernach fragen, un dann wird sie zu mir auch kommen un wird mich fragen nach ihrem Mammon, un ob ich nix gesehen hab, was soll ich ihr sagen? Soll ich ihr sagen, ich weiß nix dervon zu sagen, so sag ich ja ein Scheker (Lüge), denn ich hab doch ja die Ganewe. Un da werd ich meinen Schwur brechen den ich gegen Schimen ben Schotach hab getan. Ich will die Genewe wieder hinlegen un will nix mitnehmen. Un will nit ganewen.« Drum ihr liebe Leut, seht was das Maasse (die Geschichte) beteut. Derweil er kein Scheker wollt sagen, also hat er die Genewe nit mitgetragen un hat die kleine Tschuwe (Buße) von Rabbi Schimen ben Schotach genommen in acht, welches den Bocher hat ins Jenseits gebracht.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 336-337.
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