Zweihundertneunundvierzigste Geschichte

[339] geschah an einem Zaddik, der hat geheißen Rabbi Maßje ben Choresch, der war gar schön un hat all sein Lebtag kein fremd Weibsbild angesehen als alleinig sein eigen Weib. Einmal ging der Satan vor ihm her. Also wollte sich der Satan an dem Rabbi Maßje rächen um daß er keine Awere (Sünde) hat getan. Denn der Satan meint, es wär unmöglich, daß ein Mensch sollt ohne Awere sein. Da ging der Satan vor den Heiligen, gelobt sei er, un sagt: »Herr der Welt, was is Rabbi Maßje ben Choresch vor dir?« Da sagt der Heilige, gelobt sei er: »Rabbi Maßje is ein Zaddik gomer (vollkommen)«. Da sprach der Satan: »Gib mir Reschuss (Erlaubnis), so will ich ihn sündigen machen.« Da sagt der Heilige, gelobt sei er: »Du kannst ihn nit sündigen machen.« Da sprach er: »Gib mir Erlaubnis.« Da gab ihm der Heilige, gelobt sei er, Erlaubnis. Da macht sich der Satan zu einer hübschen Frau, die so schön war, daß ihresgleichen zu derselbigen Zeit nit zu finden war. Un stellt sich vor Rabbi Maßje ben Choresch. Un wie er sie sah, da kehrt er sich von ihr. Da ging der Satan un stellt sich auf die andere Seit. Da kehrt Rabbi Maßje auch wieder um. Un wo sich der Zaddik hinkehrt, da kehrt sich der Satan auch allzeit hin un meint der Zaddik sollt Lust zu ihr bekommen. Da sagt Rabbi Maßje: »Ich fercht mich, der Jezerhore (der böse Trieb) wird sich bei mir stärken, un möcht mich, Gott behüte, anreizen, daß ich möcht sündigen.« Was tät der Zaddik? Er ruft einen von seinen Talmidim (Schülern) un sagt, er soll ihm hereinbringen Kohlenfeuer. Da ging der Talmid hin un bracht ihm Kohlenfeuer. Da ging der Zaddik hin un verbrennt seine Augen. Da das der Satan sah, so derschrack er gar sehr. Denn er meint, er wollt ihn sündigen machen. Da ruft der Heilige, gelobt sei er, den Engel Rephoel un sagt gegen ihn: »Geh hin un heil mir Rabbi Maßje ben Choresch.« Da ging der Engel Rephoel zu Rabbi Maßje un sagt: »Der Heilige, gelobt sei er, hat mich zu dir geschickt, ich soll dich heilen.« Da sagt Rabbi Maßje: »Ich bedarf es nit. Was geschehen is, das is geschehen.« So ging der Engel Rephoel wieder zu dem Heiligen, gelobt sei er, un sagt: »Rabbi Maßje will nit geheilt sein.« Da sagt der Heilige, gelobt sei er, wieder: »Sag zu ihm, ich will Eref sein (will ihn umgeben), daß kein Jezerhore ihn gewältigen soll.« Da ließ er sich heilen un der Heilige, gelobt sei er, längt ihm seine Tage.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 339-340.
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