Sakramentstäuschung

[34] Ein frommes Mädchen verbrachte seine Zeit in der Kirche. Verrichtete dort alle Arbeiten des Meßners, kehrte, wusch auf, wischte ab und achtete auf die Lampen vor den Heiligenbildern.

Eines Morgens nun stand sie später auf, als sie es an der Gewohnheit hatte, und war zu Tode betrübt, beim Eintritt in den Tempel zu sehen, daß die Lampe des heiligen Nicolaus aus Mangel an Öl erloschen war.

Kniete vor dem Heiligenbilde nieder und hub an bitterlich zu weinen.

»Was ist denn geschehen?« fragte der Sakristan, welcher gerade anlangte.

»Des heiligen Nicolaus Lampe ist ausgegangen und das durch meine Schuld. Ich habe zu lange geschlafen. Der Herr wird mich strafen. Ich werde in die Hölle, kommen!«

»Wahrlich, das ist eine furchtbare Sünde. Doch gibt es vielleicht ein Mittel, sie wieder zu nichte zu machen!«

»Ein Mittel! Ach, schnell, Sakristan, sag' mir, was ich tun soll. Will dir auch einen Topf Honig schenken und einen großen Krug voll Oliven und Geld, wenn du's wünschest. Aber sprich, sprich schnell.«

»Nun wohl, Ihr müßt Euch eine gewisse Körperstelle[35] mit dem geweihten Öl des heiligen Damasus salben!«

»Welchen Teil des Körpers? Und dann, hast du von diesem berühmten Öl?«

»Gerade hab' ich eine Kerze und erstaunlich viel Öl. Doch wage ich den Ort nicht zu benennen, der mit ihm eingerieben werden muß.«

»Rede immer, mein guter Bursche!«

»Ich kann's nicht; indessen will ich den Platz zeigen!«

»Um der Hölle zu entgehen, bin ich zu allem bereit!«

»Dann legt Euch auf den Rücken und laßt mich nur machen!«

Das Weib streckt sich aus und schnell schlägt ihr der Sakristan die Gewänder über den Kopf.

»Was tust du, Meßner?«

»So will's der Zauber. Man darf auch nicht ein Tröpfchen davon sehn!«

»Aber wohin führst du die geweihte Kerze?«

»Wo der Teufel auf Euch lauert!«

Und dann fängt das fromme Weiblein an, »blanke Augen zu bekommen«.

»Ach, der gute Heiltrank,« seufzt sie. »Laß die Kerze eintreten. Ich fühle, daß ich ins Paradies eingehe. Ach, des heiligen Damasus Öl! Ich sterbe vor Seligkeit! Es kommt mir vor, als ob ich schon beim lieben Gott weilte!«

Der Sakristan ist fertig. Aber die Fromme:

»Höre, Sakristan, ich will dir noch mehr denn einen[36] Schlauch voll Öl schenken, wenn du mich noch einmal mit dem Öl des heiligen Damasus salbst!«

»Sei es denn, meine kleine Mutter, ich merke, daß du auf alle Fälle der Hölle entgehen willst!«

Und der Meßner macht sich wieder an sein Geschäft.

Um sich das ewige Heil zu sichern, hätte es die Fromme gern noch zu einer dritten Verzückung kommen lassen.

»Das ist unmöglich,« hebt der kräftige Bursche an, »ich habe alles Öl des heiligen Damasus verausgabt!«

Die Fromme macht sich fort, indem sie das Lied der Lieder singt.

Einige Monate vergehen. Was geschieht? Ihr Leib wird stark und wird jeden Tag höher. Also fort glaubt sie von der Wassersucht befallen zu sein und fragt um Rat bei den guten Frauen an, die sie Bäder nehmen und alle möglichen Teearten trinken lassen.

Wehe, die Wassersucht wich nicht. Eines schönen Tages – es waren wohl neun Monde verstrichen, seit die Fromme des heiligen Nicolaus Lampe hatte ausgehen lassen – fühlte sie sich von fürchterlichen Schmerzen ergriffen und glaubte, ihr letztes Stündlein habe geschlagen.

Alsbald verbreitete sich das Gerücht davon im ganzen Dorfe. Die Gevatterinnen eilten herbei, gaben die seltsamsten Ratschläge und gerieten sich sogar in die[37] Haare, denn jede wollte ihr Heilmittel angewendet wissen. Schließlich läuft eine, die mehr Verstand hat, zum Arzt.

»Herr Doktor, kommt schnell; meine Nachbarin, die fromme Eustachia, will an Wassersucht sterben!«

»Laßt mich doch in Frieden,« sagt der Arzt lachend. »Ich bin von ihrem Falle unterrichtet. Eure Nachbarin stirbt nicht daran. Sagt ihr, ich wolle sie heilen, wenn ich gefrühstückt hätte.«

Die Qualen verdoppeln sich; der Arzt kommt nicht.

Alle Gevatterinnen sind der festen Überzeugung, daß die Fromme ihrem letzten Stündlein entgegensieht. Man sucht nach dem Priester, der die Sterbesakramente bringt. Der Pfarrer tritt an das Bett.

»Nun?« sagt er ganz leise zum Arzt, der nach beendigtem Frühstück eintritt.

»Horcht, Herr Pfarrer, hört Ihr das Quäken?«

»Und also redend zeigt der Arzt den Herumstehenden einen prächtigen Jungen.«

»Närrinnen,« ruft der Priester, »alte Frauenzimmer! Ihr habt das Sakrament getäuscht. Zur Taufe mußtet ihr mich ja herrufen!«

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 34-38.
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