Der geschwollene Johannes

[195] Es lebten drei Geschwister in Eintracht und Ehrbarkeit zusammen auf ihrem kleinen Gütchen, das sie schmuck und sauber hielten; das Haus aber betreuten die Schwestern, zwei waren es, und der Bruder bestellte die Felder, auf denen man nimmer ein Unkräutlein hätte finden können. Und waren in die Jahre gekommen und die grauen Scheitel der Schwestern wurden schon ganz breit. Unverdrossen taten die ihr Tagewerk, und wenn es vollendet war, saßen sie bei karger Lampe noch fleißig beim Spinnen; nie traf man eine Nachbarin bei ihnen, geschweige denn einen Nachbar. Keines Mannes Gesicht hatten sie angeschaut, und über das, was der Männer Stolz und Fröhlichkeit ausmacht, hatten sie kaum flüsternd und errötend miteinander getuschelt.

Eines Sonntags nun, als die Ernte golden und schön herein war, ging der Bruder abends ins Wirtshaus und trank in seiner Freude ein Gläschen Rakhi zu viel. Und als er vor seinem Gütchen stand, torkelnd und recht müde, kam ihm das Verlangen, sein Wasser abzuschlagen, und er kramte seinen erbärmlichen Fetzen aus dem Hosenlatz. Stellte sich an den sorgsam aufgeschichteten Misthaufen und tat nach seinem[196] Willen. Müde und schläfrig aber wie er war, sank er auf den Boden hin und schlief ein, ohne das in den Stall gesperrt zu haben, was in den Stall gehört.

Im Bette aber sprach Artemisia, die jüngere Schwester, zu der älteren Theodata:

»O Schwester, fiel da nicht etwas auf unseren Mist?«

Antwortete die: »War mir's doch auch so. Ist's etwa der Bruder und voll des Weins?«

»Wollen wir nicht aufstehen, Theodata?«

»Ja, Artemisia, sehen wir nach!«

Und sie zogen einen Rock an ihre dürren Hüften, und Theodata, die Ölleuchte mit der Rechten vor Zug schützend, trat, von Artemisia gefolgt, in den Hof.

Sie sahen den Bruder liegen und sahen das jämmerliche Ding. Vor Scham aber hielten sie die Hand vor die Augen, nur Artemisia, die keckere, schielte ein kleines bißchen durch die Finger. So aber den Bruder wecken? Nein, das wollten sie nicht.

»Sieh, Artemisia, ich trage die Leuchte,« sprach die Ältere, »rühre du deine Hand und stecke des Bruders Johannes in den Latz!«

»Da sei Gott vor,« kreischte die auf, »daß ich meine Hand, die nimmer so etwas berührte, in ihren alten Tagen also beflecke!«

»Tue es doch, Schwester!«

»Nein, nein und nochmals nein!«

»Siehe, da liegt ein Reisig,« hub die Ältere wieder an, »gestern hast du es fortzukehren vergessen, nimm[197] es in deine geschickte Hand und tue es damit, denn der Bruder rührt sich nicht.«

Und nach langem Hin- und Widerreden wollte es Artemisia tun, aber furchtsam und schamhaft, wie sie war, kam sie nicht zum Ziele, hielt sie das Reisig doch auch mit spitzen Fingern.

Der traurige Ackermann, das Hölzchen spürend, ward nun widerspenstig und schwoll an und reckte sich drohend.

Die Schwestern aber entsetzten sich, und Theodata, die Ältere, ließ vor Schrecken die Leuchte fallen und schrie:

»Wehe, wehe, nun ist er krank geworden, die Kühle der Nacht hat ihm geschadet; komm schnell, liebe Schwester, laß uns ihm mein Halstuch umbinden, auf daß die Hitze vergeht.«

So banden sie denn dem armen kranken Ackermann ein sauberes Tüchlein um und brachten keuchend unter der Last den stämmigen Bruder ins Bett. Anderen Tags war er schon wieder munter, die alten Schwestern tuschelten jedoch noch lange über den Fall, ihn lange Zeit über nicht vergessen könnend.

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 195-198.
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