[6] 2. Winterkölbl.

Es lebte einmal ein armer Holzhauer mit seiner Frau und seinem kleinen Töchterlein an einem großen Walde. Er wußte oft nicht, womit er den Hunger der Seinigen stillen sollte, und nahm sich deshalb vor, seine Tochter in den Wald zu führen und dort zu verlassen.

Als er wieder einmal für sich und seine Familie nichts zu essen hatte und auch keine Arbeit bekommen konnte, nahm er das Kind mit in den Wald und verließ es auf einer schönen Waldwiese, mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen. Um das Kind zu täuschen, band er ein Stück Holz mittelst eines Strickes an einen Baum, so daß der Wind es hin und her schleuderte; das Anschlagen an den Baum machte ein Geräusch, als ob man mit einer Axt Holz fällte.

Das Kind wurde dadurch getäuscht, suchte Erdbeeren und spielte mit den Blumen; nach einiger Zeit schlief es müde vom Herumlaufen ein. Als es erwachte, stand der Mond schon hoch am Himmel und der Vater kam noch immer nicht.

Das Mädchen fing nun heftig zu weinen an und lief tiefer in den Wald hinein, um den Vater zu suchen.

Auf einmal erblickte sie ein Feuerchen, neben welchem mehrere kleine topfförmige Gefäße standen. Neugierig lief sie hin, legte geschäftig trockene Reiser auf das erlöschende Feuer und blies aus Leibeskräften hinein, um es zu verstärken. Als sie sich umwandte, bemerkte sie ein Männlein, welches ihr wohlgefällig zulächelte. Es war ganz grau, und der[6] weiße Bart, welcher seltsam vom grauen Kittel abstach, ging ihm bis über die Brust herab.

Die Kleine fürchtete sich und wollte davon laufen; doch der Zwerg rief sie zu sich. Widerstrebend gehorchte das Kind; der Alte streichelte ihre Backen und sprach so freundlich, daß sie alle Furcht verlor und ihm beim Kochen behilflich war. Der Graue fragte um den Namen und wer ihr Vater sei. Als sie es ihm mit Thränen in den Augen sagte, tröstete er sie und meinte, sie solle bei ihm bleiben und seine Tochter sein. Das Kind nahm es an und wurde von dem Alten in seine Wohnung geführt. Es war dieß ein großer hohler Baum, in welchem ein Haufen Laub die Stelle des Bettes vertrat.

Das Männlein richtete noch ein zweites Lager her, damit sich das ermüdete Kind zur Ruhe legen könne.

Am andern Morgen weckte der Zwerg das Mädchen und sagte, er müsse fortgehen, sie solle unterdessen das Haus, so nannte er den Baum, in Ordnung halten, bis er wieder komme. Er kam auch bald zurück und zeigte ihr alles, lehrte sie kochen und die anderen häuslichen Verrichtungen; so verging der Tag schnell und der Abend kam heran, ehe sie sich's versahen.

Sie lebten mehrere Jahre glücklich und zufrieden; das Mädchen war herangewachsen, so daß sie ihren Pflegevater bald kopfhoch überragte. Da sprach der Zwerg eines Abends zu ihr, er müsse jetzt auch für ihre Zukunft sorgen; »die Königin«, sagte er, »welche hier in der Nähe wohnt, bedarf einer treuen Dienerin und ich war dort und habe dich ihr empfohlen, sie ist gesonnen dich aufzunehmen.« Sie solle nur fein sittsam bleiben, ihr Lebenlang werde es ihr dann nicht schlecht gehen. Am andern Morgen gingen sie zusammen in's Schloß, die Jungfrau wurde der Königin vorgestellt und von ihr aufgenommen. Von ihrem Pflegevater nahm sie[7] herzlichen Abschied, und er mußte versprechen, sie alle Sonntage zu besuchen.

Noch war sie nicht lange im Dienste, als der junge König, der mit einem anderen Krieg geführt, als Sieger heimkehrte. Der junge König fand Gefallen an dem Mädchen und begehrte sie zur Frau. Seine Mutter, welche die Jungfrau sehr gerne hatte, willigte ein.

Als der Graue, wie man ihn im Schlosse nannte, wieder einmal kam, um seine Tochter zu besuchen, sagte die Königin, daß ihr Sohn gesonnen sei, seine Tochter zu heiraten, daß auch diese eingewilligt und es jetzt nur noch auf ihn ankomme, seinen Wunsch auszusprechen. Der Alte sagte mürrisch: »Der König wird nur dann mein Töchterlein bekommen, wenn er mir meinen Namen sagen kann.« Darauf entfernte er sich und ging wieder in den Wald zurück. Er machte wie gewöhnlich sein Feuer an und kochte. Während des Kochens hüpfte er oft um das Feuer und sang:


Siede Töpfchen, siede,

Damit der König es nicht weiß,

Daß ich Winterkölbl heiß.


Der König zerbrach sich den Kopf und schickte zuweilen einen Diener aus, damit er den Namen des Alten erfahre. Ein solcher Diener hörte dem Alten einmal zu und eilte freudig in's Schloß zurück, sagte den Namen und erhielt viele Goldstücke zur Belohnung. Als der Zwerg wieder kam, begrüßte ihn der König mit den Worten: »Willkommen, Vater Winterkölbl!«

Dieser sah sich überlistet und gab seine Einwilligung. Die Hochzeit wurde festlich begangen, und auch Winterkölbl war zugegen. Er war aber nicht dazu zu bringen, in das Schloß zu ziehen und wohnte vor wie nach in seinem Baume.[8]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 6-9.
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