[97] 22. Die Ziege und die Ameise.

Ein Bauer hatte eine Ziege, die er über alles liebte. Da sprach er eines Tages zu seinem Sohne Karl: »Hoalt ma di Goaß owa guat, sunst wird da da Kopf ogschlagn.« Der Knabe that, was ihm befohlen war, ließ von der Ziege Wiesen abfressen, Wald abfressen, den Teich aussaufen u.s.w. und trieb dann frohen Muthes seine Ziege nach Hause. Daselbst angekommen, fragte der Bauer die Ziege: »No Goaß, hast di heit ongfressn?« Die Ziege antwortete: »Hoab a Lawabladl1 gfressn, hoab a Trinkerl Wassa than, hoab me am hoaten2 Stoan g'setzt. Me.« Der Bauer erzürnte sich ob dieser Antwort so sehr, daß er seine Drohung in Erfüllung gehen ließ. Nun schickte er seinen andern Sohn. Wenn auch dieser der Ziege alles Mögliche that, so antwortete sie doch auf die Frage des Bauern: »Hoab a Lawablattl gfressn, hoab a Trinkerl Wassa than, hoab me am hoaten Stoan g'setzt. Me.« Der Bauer hieb ihm ebenfalls den Kopf ab und warf ihn in den Keller. Diesem Kopfe des Knaben folgte bald der seiner Schwester und dann der seiner Mutter nach; denn auch diese konnten die Ziege nicht befriedigen und erlagen der Drohung des Bauern: »Hoalts ma mein Goaß owa guat, sunst wird eng der Kopf ogschlagn; i kann eng nacha net helfa.« Nun trieb der Bauer seine Ziege selbst[97] aus. Er ließ ihr »Bama ofressn, Wiesen ofressn, Deichterl aussaufn« und alle möglichen Freiheiten.

Als er nun zu Hause ankam, antwortete die Ziege wie gewöhnlich auf die Frage des Bauern: »Hoab a Lawabladl gfressn« u.s.w. Kaum hatte dieß der Bauer gehört, als er voll Wuth und Zorn außer sich rief: »So, jetzt host mi um meine drei Kina3 und mein bravs Wei bracht, jetzt gehts dar a aso.« Nach diesen Worten schürte er ein Feuer an, stellte einen Topf mit Erbsen auf dasselbe und schickte sich an, die Ziege zu schlachten. Er steckte ihr ein Messer in den Hals und schor die Haut. Da fühlte er einen eigentümlichen Geruch, »denn seine Orwaß ham sie anbrennt ghobt«4 Er eilte nun zu seinem Topfe, um die Erbsen zu retten. Diese Gelegenheit benützte die Ziege und lief, theilweise geschoren und das Messer im Halse zur Thür hinaus und dann in ein Fuchsloch, aus dem sich der Fuchs so eben entfernt hatte, verhielt sich daselbst ruhig, bis der Fuchs nach Hause kam, und sie freute sich über den glücklichen Ausgang. Als der Fuchs nun erschien, roch er, daß etwas in seiner Höhle sein müsse, und fragte daher, indem er vor dem Eingange der Höhle stehen blieb: »Was is in meina Lucka?« Die Ziege antwortete mit kläglicher Stimme: »A n'oame Goaß, de von da Welt nix woas, halb gschundn, halb gschabn, a Messa in Krogn, kummst ma h'rein, stich i da's h'nein.«5

Bei diesen Worten wurde dem Fuchse bänglich zu Muthe und er entfernte sich traurig. Da stieß er auf eine Kuh, welche ihn fragte, was ihm fehle. Der Fuchs erzählte ihr nun, was ihm widerfahren war, worauf sich die Kuh anbot, ihn zurückzubegleiten. Allein auch sie fuhr erschrocken zurück. So gingen nun beide jammernd weiter, als eine Ameise sie mit den Worten anredete: »Was weint ihr denn, ihr seid doch beide[98] groß und stark?« – Nun erfuhr auch die Ameise die grause Geschichte und der Fuchs sprach noch besonders die Worte: »Sol ma si da net fiachten, schreits allaweil: Kummst ma h'rein, stich i da's h'nein.« Nun ging die Ameise mit beiden zum Fuchsloch, hörte die Ziege an, ging aber dann muthig in die Höhle, setzte sich auf den Rücken der Ziege und kitzelte sie, so viel sie konnte. Um sich dieser Plage zu entledigen, sah die Geiß kein anderes Mittel, als sich aus der Höhle zu entfernen. Das that sie denn auch »und is auf und davon g'rennt.«

1

Laubblatt.

2

Auf einen harten Stein.

3

Kinder.

4

Die Erbsen hatten sich angebrannt.

5

Stech ich dir's hinein.

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 97-100.
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