[276] 59. Die hüpfende Schlafhaube.

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Da kam eines Tages ein Jude und zeigte ihm ein sehr feines Halstuch, und sagte, wenn sich der König ein solches verschaffen könne, so wolle er seinen Kopf verlieren. »Gut«, sagte der König, »du setzest viel ein, darum will ich auch viel einsetzen und eines meiner drei Königreiche sei dein, wenn ich die Wette verliere; wo nicht, so fällt dein Kopf.« Der Jude ging fort und war froh, denn er glaubte, der König werde kein so schönes Halstuch bekommen können. Der König ließ darauf seine drei Söhne rufen und erzählte ihnen alles, zum Schlusse sagte er: »Wenn ihr also nicht wollt, daß euer Erbtheil gemindert werde, so trachtet ein schöneres Halstuch zu bekommen. Der, welcher das schönste hat, bekommt das verwettete Königreich.« Die drei Brüder gingen miteinander fort, um ein Halstuch zu suchen. Die beiden älteren hatten sich verabredet, den jüngern, den sie nicht leiden konnten, nicht mitzunehmen. Und so geschah es; sie ließen ihn nämlich in einem dichten Walde zurück. Als er sich verlassen sah, fing er an bitterlich zu weinen. Während dem kam eine weiße Schlafhaube auf den Bändern dahergehüpft und fragte ihn: »Warum weinst du denn?« Er erzählte ihr nun die ganze Angelegenheit haarklein. Da sagte die Schlafhaube: »Sei nur getrost, komm mit mir, ich werde dir helfen.« Sie tupfte dann mit einem Bande an einen großen Baum und allsogleich stand ein herrliches Schloß da. Das ganze Schloß[276] schien ausgestorben, man sah nichts als lauter steinerne Figuren, welche aussahen, als ob sie Menschen gewesen wären. Sie führte ihn in einen großen Saal, dort waren die kostbarsten Teppiche und Tücher, die er sich auswählen konnte. Erstaunt wußte er anfangs nicht, welches er nehmen sollte, da alle so schön waren. Endlich nahm er sich eines, bedankte sich bei der Schlafhaube, und diese hüpfte wieder über die Treppe hinab. Außer dem Thore tupfte sie an dasselbe und das Schloß war verschwunden und ein großer Baum an seiner Stelle. Die Schlafhaube führte dann den Königssohn aus dem Walde, und nachdem er sich nochmals bedankt hatte, ging er in seines Vaters Schloß. Seine Brüder kamen bald nach ihm, und jetzt ward der Jude gerufen, damit die Wette entschieden werde. Alle Großen des Reiches waren um den Thron des Königs als Zeugen versammelt. Der König legte auf die rechte Seite des Thrones seinen Einsatz, nämlich Krone und Zepter, auf der linken Seite lag Block und Beil für des Juden Einsatz. Die drei Brüder kamen nun und jeder hatte sein Tuch verborgen. Zuerst wurde das Tuch des ältesten den Anwesenden gezeigt. Es war aber im Vergleiche mit dem des Juden ein Abreibfetzen. Da der Jud es sah, schrie er: »Juhei, jetzt bin ich König und ich werde reich sein und alle Jüden werden in meinem Königreiche wohnen.« Er sprang wie närrisch herum und wollte sich schon der Krone bemächtigen, allein die Anwesenden hinderten es. »Du bist noch nicht König, Jud«, sagte der König, »es sind noch zwei da.« »Macht nichts«, sagte der Jude, »die haben auch nichts Schöneres.« Nun zeigte der zweite sein Tuch, allein es war auch nicht schöner als das des ersten. Jetzt sprang der Jude noch mehr herum und war ganz außer sich vor Freude. Endlich öffnete der dritte sein Bündl und siehe, dessen Tuch war so schön, daß noch niemand ein solches gesehen hatte. Als der Jude das Tuch sah, rief er Auweih! und fiel vor Schrecken in Ohnmacht.[277]

Natürlich gehörte nun dem jüngsten das Königreich und des Juden Kopf. Man ließ indeß dem vorlauten Handelsmann seinen Kopf auf dem Rumpfe und nach einer tüchtigen Tracht Prügel durfte er seines Weges gehn.

Eines Tages kam wieder ein Jude zum König, zeigte ihm einen Ring und sagte, er wolle sein Leben am Galgen verlieren, wenn der König einen so schönen Ring erhalten könne. Der König setzte abermals ein Königreich und froh entfernte sich der Jude, welcher sicherlich König zu werden glaubte. Der König sagte dann zu seinen Söhnen, welche alles mit angehört hatten: »Ihr habt nun vernommen, daß ich wieder eines meiner Königreiche als Wette eingesetzt habe: sehet also, daß ihr einen schöneren Ring bekommt, damit euer Erbtheil nicht einem andern zufalle.« Die Brüder machten sich also wieder auf den Weg. Der jüngste ging gleich wieder in den Wald und beschloß, die Schlafhaube aufzusuchen und ihr seine Bitte vorzutragen, denn er dachte sich, sie hat mir einmal geholfen, vielleicht kann sie es auch jetzt. Er war noch nicht lange in dem Walde, als er die Schlafhaube herumhüpfen sah. Er lief sogleich zu ihr hin und sagte: »Liebe Schlafhaube, ich bitte dich, hilf mir auch jetzt aus der Noth, wenn du es kannst, wie das erstemal, ich werde dir mein Lebtag dafür dankbar sein.« Die Schlafhaube freute sich, daß der Königssohn so viel Zutrauen zu ihr habe und daß er sich in seiner Noth an sie wende. Sie fragte ihn daher, was er von ihr wolle. Als er mit seiner Erzählung zu Ende war, sagte die Schlafhaube: »Wenn du nicht mehr willst, das kann ja leicht sein, komm nur mit mir, wir wollen in mein Schloß gehen.« Sie führte ihn wieder zu dem Baume und dort angelangt, tupfte die Schlafhaube mit einem ihrer Bänder an, und das Schloß stand da. Sie gingen die Treppe hinauf in einen großen Saal. Darin stand eine Kiste, welche voll der prächtigsten Ringe war. Der Königssohn nahm sich dann einen davon und ging, nachdem er sich bei der[278] Schlafhaube bedankt hatte, aus dem Schlosse in den Wald und von da nach Hause.

In dem Schlosse seines Vaters wartete man schon auf ihn, denn die Brüder waren bereits heimgekehrt. Und nun ward der nächste Tag zur Entscheidung der Wette bestimmt. Es versammelten sich abermals alle Großen des Reiches in dem Thronsaale des Königs, um Zeugen bei der Entscheidung zu sein. Der König setzte sich auf den Thron, zu seiner rechten Seite lag als Einsatz wiederum Krone und Zepter; im Hofe aber war ein Galgen errichtet für den Juden, wenn er die Wette verlieren sollte.

Zuerst zeigten die beiden älteren Brüder ihre Ringe, welche zwar schön waren, aber bei weitem nicht an Schönheit dem des Juden gleichkamen. Der Jude glaubte schon König zu sein; allein er sollte bald anderer Meinung werden. Als endlich der jüngste seinen Ring zeigte, staunten alle ob der Schönheit desselben. Der Jude fing an zu winseln und bat um sein Leben. Er durfte ebenfalls seines Weges gehen, nachdem er von den Dienern tüchtig durchgeprügelt war. Der jüngere der Königssöhne war somit Herrscher über zwei Königreiche. Die ältesten Brüder haßten ihn deshalb auf's bitterste. Sie verlangten von ihrem Vater noch ein Probestück, damit auch sie sich ein Königreich erwerben könnten. Er antwortete ihnen: »Meine Söhne, ich will euch alle glücklich sehen, deshalb sei dem mein letztes Königreich, der sich binnen Jahresfrist die schönste Braut heim bringt.« Die Brüder waren das zufrieden und die älteren machten sich bald auf, die fremden Königreiche zu bereisen, um sich von dort eine Braut zu holen. Der jüngste dachte sich: »Geht ihr nur hin, ich suche wieder meine Schlafhaube auf.« Er traf sie in dem bekannten Walde und redete sie an: »Liebe Schlafhaube, sei nicht böse, daß ich dich immer quäle, aber in dieser Sache kann ich doch deines Raths nicht entbehren.«

Als er seine Bitte vorgebracht hatte, freute sich die Schlafhaube,[279] daß der Prinz bei allen seinen Unternehmungen sie um Rath fragte. Sie sagte daher zu ihm: »Komm mit in das Schloß, dort werde ich dir den gewünschten Rath ertheilen.« Sie gingen nun zu dem Baume, aus welchem durch das Antupfen mit einem Bande das Schloß hervorgezaubert wurde. Als sie in das Schloß getreten waren, sprach die Schlafhaube: »Geh jetzt in die Küche, dort steht ein großer Kessel, den fülle mit Wasser aus dem Brunnen, welcher im Hofe ist und laß es sieden; aber rede um keinen Preis auch nur ein Wort, denn redest du, so sind wir beide verloren.« Er ging in die Küche und holte sich den Kessel. Als er zu der Thür kam, stand ein fürchterlicher Riese bei derselben. Dieser packte ihn am Kragen und fuhr ihm mit einem Schwert gegen die Brust und rief: »Wer bist du?« Er gab aber keine Antwort. »Wer bist du?« rief der Riese nochmals und fuchtelte drohend mit dem Schwerte über ihm herum. Als er das drittemal auch keine Antwort erhielt, schleuderte er ihn in den Hof, so daß er erschöpft vor dem Brunnen liegen blieb. Er ermannte sich und wollte Wasser aus dem Brunnen in den Kessel schöpfen; als er aber die Hand ins Wasser tauchte, sah er sich auf einmal von einem gräßlichen alten Weibe festgehalten. Diese fragte ihn, was er hier zu thun habe. Als er keine Antwort gab, drohte sie, ihn zu sich ins Wasser zu ziehen, aber vergebens, ihre Fragen blieben ohne Antwort. Als er auf die dritte Frage auch keine Antwort gab, ward er tüchtig angespritzt, konnte sich aber unbelästigt Wasser schöpfen. Er trug nun den Kessel, nachdem er ihn mit Wasser gefüllt hatte, in die Küche und ließ das Wasser sieden. Und als das Wasser brudelte, ging er zur Schlafhaube und sagte es ihr. Diese begab sich mit ihm in die Küche, und sprach: »Jetzt zerhacke mich in kleine Stücke und diese wirf dann in den Kessel, den du aber vor einer Stunde nicht aufmachen darfst.« »Nein«, rief der Prinz, »das thue ich nicht, eher stürze ich mich in denselben.« Nach vielem Bitten gab[280] er endlich nach und that es. Er legte sie auf den Hackstock und zerhackte sie in kleine Stücke, die er dann alle in den Kessel warf. Und als das geschehen war, hörte er die Schlafhaube immer schreien: »Mach auf und laß mich heraus!« Er wollte schon hingehen und hinein sehen, allein er gedachte zuletzt des Verbotes. Nach einer Stunde vernahm er plötzlich einen fürchterlichen Knall, das ganze Schloß erbebte und der Prinz fiel zu Boden. Aber wie groß war sein Erstaunen, als sich der Deckel des Kessels hob und eine wunderschöne Prinzessin aus demselben herausstieg. Diese sagte ihm: »Ich war die Schlafhaube und mußte als verwunschene Prinzessin in der Gestalt von einem Riesen und einer Hexe bewacht bleiben, bis ich erlöst ward. Und das hast du gethan.« Das Schloß bevölkerte sich auf einmal und Diener rannten geschäftig umher. Der Wald verwandelte sich in ein großes Reich, welches das Eigenthum der Prinzessin war. Der Königssohn führte dann die Prinzessin zu seinem Vater und trug auch diesmal den Sieg über seine Brüder davon. Jedem derselben aber schenkte er einen Theil seines Reiches. Er selbst heiratete die Prinzessin und lebte noch lange Jahre als mächtiger König glücklich und zufrieden.[281]

Quelle:
Vernaleken, Theodor: Kinder- und Hausmärchen dem Volke treu nacherzählt. 3.Auflage, Wien/Leipzig, 1896 (Nachdruck Hildesheim: Olms, 1980), S. 276-282.
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