Viel Suchen wirbelt Staub auf

Viel Suchen wirbelt Staub auf.1
Eine Betschuangeschichte.

[63] Ein Mann ging in den Wald, um Holz zu[64] fällen. Er suchte nach Bäumen, die gutes, gesundes Holz hatten, aber er konnte keine finden. Schließlich erstieg er einen hohen Felsen, und von ihm aus sah er, was er suchte. Da nahm er einen großen Stein und rollte ihn hinab auf den Baum zu. Der Stein rollte in die Tiefe und schreckte einen Bock auf, welcher im Busche lag und schlief. Der Bock lief tiefer hinein in den Busch und traf auf einen Büffel. Der sprang auf; denn er fürchtete sich vor dem Bock. Ein Mann aber jagte in demselben Busch. Als der Büffel ihn sah, tötete er ihn. Kaum war der Mann tot, so versammelten sich Aasvögel an der Stelle. Da die Menschen von weither die Vögel in der Luft schweben sahen, liefen sie eilends hinzu, um zu sehen, was geschehen sei. Da fanden sie den toten Mann, konnten aber nicht sehen, was seinen Tod veranlaßt hatte. Sie standen um den Leichnam herum und fragten einander:

»Woran starb dieser Mensch?«

Plötzlich gewahrten sie den Abdruck des Fußes des Büffels.

»Ein Büffel hat ihn getötet«, riefen sie.

»Woher kam der Büffel?« fragten sie dann.

Und sie fanden, daß er aus dem Busch gekommen sein müsse.

»Warum kam er aus dem Busch?« fragten sie wieder.

Da gewahrten sie die Fährte des Bockes.

»Woher kam der Bock, als er den Büffel erschreckte?« fragten sie.

»Er kam aus diesem Busch!«

»Was aber hat den Bock aufgejagt?«[65]

Sie sahen den großen Stein und fragten weiter:

»Woher kam der Stein, als er den Bock erschreckte?«

»Von jenem Felsen!« lautete die Antwort.

»Und was hat den Stein ins Rollen gebracht?«

»Ein Mensch! Denn er suchte nach einem Baume zum Fällen und rollte den schweren Stein gegen jenen Baum, daß er ihn umwürfe.«

Sie sprachen weiter:

»Warum mußte er gerade diesen Baum fällen? Es waren eine Menge anderer Bäume da. Warum mußte er Dinge, die in Ruhe und Frieden waren, stören?«

Seitdem gibt es in Betschuanaland ein Sprichwort, welches heißt:

»Viel Suchen wirbelt viel Staub auf.«

1

In der Betschuanasage »Viel Suchen wirbelt viel Staub auf« ist eine unverkennbare Gleichheit des Aufbaues mit der Erzählung Goso, eine Geschichte aus Mombassa, zu finden. Diese Übereinstimmung des Aufbaues, der Ideen, ja der Worte der verschiedenen Sprachen ist zwar überraschend, wenn man bedenkt, daß die Neger Afrikas sich untereinander absolut nicht verstehen, sowie sie verschiedenen Ländern angehören; dennoch ist sie natürlich durch die enge Verwandtschaft, in welcher scheinbar sämtliche Afrikaneger zueinander stehen. Wir finden das Wort nyoko sowohl bei den Kapkaffern, Zulus und Suahelis, bei allen dreien heißt es: Schlange, und dennoch sind die drei Sprachen im ganzen sehr verschieden voneinander trotz gelegentlicher Übereinstimmungen, die nur den gleichen Stamm bedeuten. Auch bei den im Südwesten Afrikas wohnenden Hereros fanden sich Worte, welche eine entschiedene Vetternschaft mit den ostafrikanischen Stämmen zu erkennen geben, so z.B. heißt onganga im Dialekt der Herero Zauberer, Arzt; das Wort mganga ist dasselbe in der Sprache der Suaheli.

Quelle:
Held, T. von: Märchen und Sagen der afrikanischen Neger. Jena: K.W. Schmidts Verlagsbuchhandlung, 1904, S. 63-66.
Lizenz:
Kategorien: