Der Löwe und die Schildkröte

Der Löwe und die Schildkröte.
Eine Naosage.

[131] Vier außerordentlich große Elfenbeinzähne, so groß, daß jeder Zahn von zwei Männern getragen werden mußte, lagen bereit als Wettlaufpreis, und man sagte:

»Wohlan, laufet um die Wette, alle Tiere! Wer zuletzt ermüdet, bekommt das Elfenbein.«

Da kamen viele Tiere und liefen um die Wette, wurden aber müde und gaben den Wettlauf auf, so daß nur noch der Löwe übrig blieb. Dieser freute sich und sprach:

»Mir gehört der Preis!«

Da erhob sich die Schildkröte und sprach:

»Noch nicht! Wir wollen noch miteinander wettlaufen, damit ich jenes Elfenbein bekomme.«

Der Löwe weigerte sich, lachte und sprach:

»Wie? Wirst du wettlaufen können?«

Die Schildkröte entgegnete:

»Du wirst es schon sehen; lauf nur zu!«

Die Schildkröte kletterte unbemerkt auf des Löwen Rücken, und so liefen sie denn, – liefen, liefen und liefen, bis der Löwe müde wurde und ausruhen mußte.

Da rief die Schildkröte:[132]

»Ruht nicht aus; sonst bekomme ich die Elfenbeinzähne.«

Weiter und weiter lief wiederum der Löwe, bis er ganz und gar ermattet wieder zu den Elfenbeinzähnen kam. Da machte er Halt, drehte sich um und fragte:

»Schildkröte, wo bist du?«

Die Schildkröte antwortete hinter ihm:

»Ach, ich bin schon lange hier.«

Da sah sich der Löwe besiegt und ließ ihr den Preis.

Quelle:
Held, T. von: Märchen und Sagen der afrikanischen Neger. Jena: K.W. Schmidts Verlagsbuchhandlung, 1904, S. 131-133.
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