Beschreibung der Geliebten

[75] Ein vierzeiliges Mugef1 mit richtigem Metrum, trage ich jetzt vor, ich, reich an Liedern, urwüchsig und aufregend, der Herr aller Dichter.

Ich besinge das schwarzäugige Mädchen, das sich schwankend2 bewegt wie eine Eiche, und dessen Liebe ich in vollen Zügen genossen habe, bis ich fühlte, daß mein Herz entzwei ging.

Ihr Haar gleicht dem Gefieder des männlichen Straußes,3 der laut mit den Flügeln flattert: nach ihm zielte ein Jüngling, ein mutiger Knabe, und traf und zerschmetterte ihn.4

Ihre Stirn gleicht dem Blitze der Wolken, der in[75] seinem Glanze leuchtet, leuchtet und hastig aufleuchtet im Dunkel der finstersten Nacht.

Ihre Wangen gleichen duftenden Rosen, die ein Fürst in der Hand hält, der berühmt ist in den Landen als ein wohlbekannter Beherrscher der Leute.

Die Lippe gleicht der Koralle: rot ist sie und zwar von dunkler Farbe. Der Kermeswurm hat seine Farbe von ihr geraubt. Ja, so ist's, und Gott weiß es!

Ihre Oberarme gleichen einem gezückten Schwerte: am Tage des Kampfes, wenn ein Negerjunge das Tamburin schlägt und die Feinde von den bemalten Sänften fernhält (durch rechtzeitigen Alarm).

Sie trägt einen Mantel von der Farbe der Granatapfelkörner, der bis auf die Hüften reicht. Sie geht stolz und wallend einher, sie geht einher mit Würde und mit zierlicher Gürtung.

Das gleichmäßige Schwanken ihres Körpers gleicht den Bewegungen eines Raubschiffes, das in Sicherheit dahinsegelt, hinauslaviert und ins offene Meer lenkt; von fern her wirft es seine alles zerschmetternden Kugeln.

Wenn der Löwe aufgrollt, – irgendwo draußen in der Wüste, – so wagt sich ihm kein Tier zu nahen, und wenn es noch so schlau wäre; denn er trifft es mit der Tatze und zermalmt es.5

Ein solcher Leu bin ich, mit Namen El' aijâri, der Verfasser dieses Liebesliedes.6 Ich verstehe mich aufs[76] Dichten. Schon früh habe ich mir Bildung angeeignet und kenne den Wind vom sanftesten Wehen her.7

1

Eine Versart.

2

Natürlich ist das mit einer gewissen gleichmäßig hin- und herschwankenden Bewegung verbundene gemessene Einherschreiten der Orientalinnen (und Orientalen) gemeint. Für eine solche Gangart sind Vergleiche dieser Art ganz am Platze.

3

Eigentlich Plur. (der männlichen Strauße); nach der Erklärung meint aber der Dichter nur einen; der Plural stünde wegen des Reimes für den Sing.

4

Wörtlich: (und) den er daließ getroffen und zerschmettert.

5

Der Dichter sagt diesen Vers, damit die Sänger, die sich mit ihm in den Weltkampf einlassen wollen, Angst bekommen sollen.

6

Wörtlich: Dieser Liebesqualen.

7

d.h. Ich weiß, wie ich singen soll, ob lustig, traurig oder spottend.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 75-77.
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