Der Hase und die Hyäne.

[5] Ein Hase machte einst Freundschaft mit einer Hyäne, und sie lebten lange Zeit zusammen. Eines Tages sprach der Hase: »Ich möchte, dass wir in meine Heimat gingen.« Die Hyäne erwiderte: »Lass uns gehen.« »Mache sieben Brote zurecht«, sprach er. »Gut«, erwiderte sie und machte die Brote. Er sprach: »Wohlan, ziehen wir nun unseres Weges!« »Wohin gehen wir?« erwiderte die Hyäne. Er sprach: »In meine Heimat, um meine Eltern zu besuchen; gut also, lass uns gehen.«

Sie zogen ihres Weges, bis sie unterwegs einen Fluss sahen, der viel Wasser mit sich führte. Der Hase sprach: »Erwarte mich hier; wenn Du aber siehst, dass ich mich verspäte, so setze über den Fluss und erwarte mich unterwegs; und wenn Dir während des Übersetzens gesagt wird: ›Wirf das Brot weg‹, so wirf es von Dir, dann kommst Du heil hinüber.« Die Hyäne sprach: »Es ist gut.« Dann gingen sie, bis sie am Flusse anlangten.[5] Da sprach der Hase zu ihr: »Warte auf mich, ich habe etwas nötig; wenn Du aber siehst, dass ich mich verspäte, so setze schon über. Wird Dir beim Übersetzen gesagt: ›Wirf das Brot weg‹, so wirf es weg, um Dich retten zu können.« Der Hase ging hin und tauchte an einer anderen Stelle unter, und als er zu lange ausblieb, setzte die Hyäne über.

Beim Übersetzen wurde ihr gesagt: »Wirf das Brot weg.« Die Hyäne sagte: »Das ist's ja, was mir mein Freund, der Hase, gesagt hat.« Und sie warf das Brot ins Wasser. Der Hase aber war unten und schnappte es mit seinem Munde auf und setzte langsam über. Was sagte er nun zur Hyäne? »Als ich übersetzen wollte, sollte ich getötet werden, aber das Schicksal wollte es nicht. Jetzt habe ich Hunger, ich esse jetzt meine Brote.« Die Hyäne sprach: »Ich helfe mit.« »Wo sind denn Deine Brote?« fragte der Hase. Die Hyäne erwiderte: »Hast Du mir nicht gesagt, wenn Du übersetzt und hörst: ›Wirf weg‹ – gut, dann wirf sie weg? Ich hörte das und habe das Brot weggeworfen.« »Bist Du von Sinnen«, sprach der Hase, »giebt es einen Menschen, der sagt: ›Wirf Brot weg?‹ Der Hase ass sein Brot, seinem Freunde gab er jedoch nichts.«

Als er gegessen hatte, sprach er: »Lass uns gehen!« Sie gingen, bis sie an eine grosse Zuckerrohrpflanzung kamen. Da sprach der Hase zu der Hyäne: »Mein Freund, schlage dies Zuckerrohr, das Eigentum anderer Leute, nicht ab, schneide von dem trockenen Zuckerrohr1ab, ich werde das auch thun.« Der Hase ging hinten herum und schnitt sich saftiges Zuckerrohr ab, das grösser als er selbst war. Als sie an einem schattigen[6] Orte ankamen, setzten sie sich und der Hase sprach: »Reiche mir mein trockenes Zuckerrohr.« Die Hyäne schaute hin und bemerkte, dass es gutes saftiges Zuckerrohr war, und sie sprach: »So will auch ich mein Zuckerrohr herunternehmen«, und sie schaute hin und sah nur trockenes. Da sprach sie: »Meins ist trockenes, mein Freund.« Der Hase erwiderte: »Das hast Du Deiner eigenen Dummheit zuzuschreiben; warum hast Du kein gutes Zuckerrohr abgeschnitten, anstatt das trockene zu nehmen?«

Dann standen sie auf und gingen, bis sie an einen Ort kamen, wo ein grosser Baum stand. Da setzten sie sich nieder, und der Hase sprach: »Jetzt gehen wir dorthin zum Hause meiner Eltern; diese Arznei, die ich Dir hier zeige, ist gegen Fieber, diese andere gegen Leibschmerzen und diese hier gegen Anschwellung.«

Sie brachen auf und setzten ihren Weg fort, bis sie im Hause der Eltern anlangten; dort wurde Essen für sie bereitet. Der Hase stellte sich plötzlich krank und sagte: »Mein Freund, ich bin krank, ich habe Leibschmerzen, geh und hole mir von dem Mittel gegen Leibschmerzen, das ich Dir dort gezeigt habe.«

Die Hyäne machte sich schnell auf, um die Kräuter zu holen. Als sie sie brachte und zu dem Hasen kam, hatte dieser das Essen allein verzehrt und war von seiner Krankheit geheilt. Er sagte zu ihr: »Stelle die Arznei nur dort bei Seite.«

Am Abend wurde ihnen ein Platz zum Schlafen zurecht gemacht; der Hase wurde in den Hühnerstall gesteckt und die Hyäne in den Ziegenstall. Die Hyäne hatte einen Hunger wie von zehn Tagen her, und als sie des Ziegenfleisches ansichtig wurde, konnte sie sich nicht mehr halten. Sie sprang auf eine Ziege los und tötete sie.

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Das weniger schmackhaft ist.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 5-7.
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