Der Schatz.

[135] Dschuha pflegte die Kühe seiner Verwandten von Mutterseite auf die Weide zu treiben. Bei jener Herde besass Dschuha ein Kalb als sein Eigentum. Die Kühe der Herde waren nun alle mager; Dschuha's Kalb dagegen war fett. Da nahmen es einst seine Verwandten wahr, als Dschuha nicht auf sein Kalb Acht gab, und schlachteten es; sie töteten und verzehrten es. Als Dschuha heimkam, sah er, wie jene sein Kalb verzehrten. Sie erklärten einfach: »Dein Kalb gefiel uns so sehr; da haben wir es geschlachtet und essen es jetzt!« Dschuha bat sie: »Gebt mir wenigstens das Fell desselben!« Man gab ihm das Kalbfell; er nahm es mit fort und bot es im Basar zum Verkaufe aus. Den ganzen Tag über bot er es aus; schliesslich verkaufte er es für einen Heller. Er überlegte nun und sprach zu sich: »Was thue ich mit diesem Heller?« Hierauf machte er ein Loch durch den Heller, zog einen roten Faden durch, wickelte sich den Faden um den Finger und ging wieder nach Hause. Da erblickte er zwei Männer vor sich auf der Strasse; die hatten einen Kasten voll Goldstücke gefunden; sie massen das Geld mit einem Masse, um sich darein zu teilen. Dschuha kam von hinten, schlich sich heran, hierauf warf er den Heller mitten in die Goldstücke hinein und rief jenen zu: »Seid gegrüsst!« Jene entgegneten ihm: »Was ist's mit dir?« Er entgegnete: »Was ist's vielmehr mit: euch? Teilt ihr euch in das Geld andrer Leute?« Die beiden entgegneten: »Diesen Schatz hat uns Gott geschenkt; wir haben ihn regelrecht durch Zauberei gehoben!« Dschuha aber behauptete: »Der Schatz gehört mir!« Jene fragten: »Wieso ist er dir?« Dschuha entgegnete: »Ich habe ihn gekennzeichnet, und zwar mit einem Heller, durch den ein roter Faden gezogen ist.« Jene suchten nach und fanden den Heller in der That; sie sprachen zu Dschuha: »Du hast Recht! Jetzt müssen wir drei teilen!« Dschuha aber erwiderte: »Nein, nehmt ihr eine Hälfte, und ich will eine Hälfte nehmen!« Hiermit nahm er eine Hälfte von den Goldstücken, und jene eine. Er steckte sein Geld in die Falte seines Burnus und ging wieder heim.

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 135-136.
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