105. Erschaffung des Wolfes.

[168] Haj e, uk, e pljaß e, sche Mehil! – Friß ihn, Wolf, und mach ihn bersten, heiliger Michael. Dieser Wunsch gilt dem Teufel und damit verhält es sich so.

Als unser Herrgott das erste Menschenpaar schuf, war der Teufel zugegen und meinte, daß es mit diesem Kunststück nicht viel auf sich habe und er wohl auch zu schaffen verstehe. Unser Herrgott war gerade guter Laune und gab ihm also die Erlaubnis, seine Kunst zu probieren. Da machte sich der Teufel einen Teig an, wie er es von unserem Herrgott gesehen, knetete daraus eine Wolfsgestalt und behauptete, daß so ein Geschöpf weit vollkommener sei als unseres Herrgotts Machwerk. –

»Du mußt deinem Geschöpfe aber auch Leben geben,« sprach der Herr, »wie ich es bei den meinen getan.« Da machte sich der Teufel daran und blies in sein Geschöpf, bis ihm der Atem verging und sein schwarzer Kopf rot und blau wurde von der Anstrengung. Doch alles war umsonst.

Endlich ward der Herr dieses vergeblichen Beginnens überdrüssig. Er schlug mit einer Gerte dem Wolfsbilde in die Seite – und darum ist der Wolf in der Mitte wie eingeknickt – und sprach: »Geschöpf, friß deinen Schöpfer.« Und der Wolf lebte, und der erste, den er verschlang, war derjenige, der ihn gebildet hatte.

So kommt es, daß der Albanese die Worte des Herrn wiederholt, wenn er dem Teufel oder einem andern, den er ebenso lieb hat, Böses wünscht. Was es aber mit dem Erzengel Michael für eine Bewandtnis gehabt, das wußte uns niemand zu sagen.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 168-169.
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