[156] 53. Die Schildkröte und das Fest im Himmel

[156] Im Himmel feierte man ein Fest, zu dem die Schildkröte und der Aasgeier eingeladen waren. Sie schlug ihm eine Wette vor, wer zuerst dorthin kommen würde. Der Aasgeier nahm die Wette an und packte den Mundvorrat für die Reise in einen Tragkorb. In der Nacht kamen sie überein, daß die Abreise am frühen Morgen vor sich gehen sollte und gingen dann schlafen. Als die Schildkröte sah, daß der Aasgeier schlief, kroch sie in seinen Tragkorb und versteckte sich unter den Mundvorrat. Vor Tagesanbruch brach der Aasgeier auf und kam zum Himmel, wo er seinen Tragkorb stehen ließ und fortging, um zu sehen, was es besonderes gäbe. Da benutzte die Schildkröte die Gelegenheit, kam aus dem Tragkorb heraus und ging ebenfalls spazieren. Später, als der Aasgeier schon müde war, auf die Schildkröte zu warten, begegnete er ihr und sprach:

»Endlich also kommst du?«

»Nein,« antwortete sie, »ich bin schon lange da!«

Diese Wette hatte er also verloren. Als das Fest zu Ende war, schlug der Aasgeier eine andere Wette vor: »Laß uns jetzt wetten, wer zuerst wieder hinabkommt!«

»Gut!« antwortete die Schildkröte, und sie machten sich auf. Die Schildkröte ließ sich fallen, während der Aasgeier flog.

Als die Schildkröte sich der Erde näherte, sah sie einen großen Felsen unter sich, auf den sie fallen mußte. Da schrie sie laut: »Geh aus dem Weg, Fels, sonst zerschmettere ich dich!«

Der Fels ging beiseite, und die Schildkröte schlug heftig auf die Erde auf, wodurch sich ihre Brust abplattete und ihre Schale spaltete, wie wir es noch heute sehen.


53. Die Schildkröte und das Fest im Himmel
Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 156-157.
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