[166] 59. Die Entstehung des Tequendama-Falles

[166] In längst vergangenen Zeiten, bevor der Mond die Erde begleitete, lebten die Bewohner der Hochebene von Bogota als rohe Wilde, nackt, ohne Ackerbau, ohne Gesetze und ohne Kult. Plötzlich erschien unter ihnen ein Greis, der von den Ebenen im Osten der Cordillere von Chingasa kam. Er war anscheinend von ganz anderer Rasse als die Eingeborenen, denn er hatte einen langen und dichten Bart. Er trug drei verschiedene Namen: Bochica, Nemquetheba und Zuhe. Dieser Greis lehrte die Menschen sich kleiden, Hütten bauen, die Erde bearbeiten und in Gemeinschaft leben. Er führte mit sich eine Frau, die ebenfalls drei Namen hatte: Chia, Yubecayguaya und Huythaca. Diese Frau war von seltener Schönheit, aber von außerordentlich bösem Charakter. Sie widersetzte sich ihrem Gatten in allem, was er zum Heil der Menschheit unternahm. Durch ihre Zauberkunst ließ sie den Fluß Funzha anschwellen, so daß seine Wasser das ganze Tal von Bogota überschwemmten. Durch diese Flut gingen die meisten Bewohner zugrunde; nur einige retteten sich auf die Gipfel der umliegenden Berge. Der erzürnte Greis jagte die schöne Huythaca weit von der Erde. Sie wurde der Mond, der seit dieser Zeit unsere Erde während der Nacht zu erleuchten begann. Bochica hatte nun Mitleid mit den Menschen, die auf den Gebirgen zerstreut waren. Er zerbrach mit mächtiger Hand die Felsen, die das Tal auf der Seite von Canoas und Tequendama verschlossen, und ließ durch diese Öffnung die Gewässer des Sees von Funzha ausströmen. Dann vereinigte er von neuem die Völker in dem Tal von Bogota, baute Städte, führte den Sonnenkult ein, ernannte zwei Oberhäupter und teilte unter sie die priesterliche und weltliche Macht. Er selbst zog sich unter dem Namen Idacanzas zurück in das heilige Tal von Iraca nahe bei Tunja, wo er unter den strengsten Bußübungen während der Dauer von 2000 Jahren lebte.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 166-167.
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