[265] 97. Dohit

[265] Dohit war zur Erde gekommen, und dort machte er aus Lehm Puppen und verwandelte sie in Menschen. Dann kletterte er auf einer Leiter zum Himmel hinauf. Als er oben war, verschloß er den Himmel fest. Dort blieb er lange Zeit.

Eines Tages wollte Dohit die Erde besuchen. Er sagte da zu seinem Kameraden, dem Königsgeier Keri:

»Wie komme ich herunter, da ich doch so gut zugeschlossen habe?« Dohit begann nun ein Stückchen Land im Himmel zu roden und zu jäten, und dann begannen sie ein rundes Loch zu graben. Sie gruben lange durch Erde, zuletzt stießen sie auf Fels. Dohit setzte sich nieder und weinte, so schwer war das Graben. Endlich gelang es ihnen indessen, so tief zu graben, daß sie die Erde durch ein Loch sahen.

»Wie sollen wir nun hinunterkommen?« dachte Dohit. Er nahm ein wenig halbtrockenen Schleim aus der Nase, rollte ihn zwischen den Fingern und hängte ihn dann durch das Loch bis zur Erde. Es reichte bis unten hin. Auf ihm kletterte Dohit zur Erde hinab. Nach ihm kletterte Keri. Als Keri noch ein gutes Stückchen vom Boden entfernt war, platzte der Schleim, und Keri fiel herunter und zerschlug sich die Glieder.

Dohit war hungrig. Er ging zu den Menschen und bat um Essen. Sie hatten viele Fische, aber sie wollten ihm nichts geben. An einigen Stellen wollten die Männer ihm zu essen geben, aber die Frauen wollten es nicht. Dohit ging weit umher, aber nirgends erhielt er Essen. Da verwandelte er alle Menschen in Geier und in Ameisen und in andere Tiere.

Dann wanderte Dohit weiter. Zuerst kam er zu dem Hause der roten Affen. Diese waren Menschen. Sie waren gerade damit beschäftigt, rote Hemden zu bemalen.

»Was tut ihr?« fragte Dohit.[266]

»Wir malen Hemden!« sagten sie ärgerlich.

Wieder ging Dohit, wieder fragte er:

»Was tut ihr?«

»Hast du nicht gehört, daß wir Hemden malen!«

Dohit verwandelte sie alle in rote Affen. Mit seinem Bogen und Pfeil tötete Dohit einen Affen und aß ihn. Er schabte die Haare des Affen ab, und diese wurden alle in Affen verwandelt, die nach allen Richtungen hin liefen und kletterten.

Dohit wanderte weiter, um andere Menschen aufzusuchen, und so traf er ein Eichhörnchen, Baka. Dieses sagte, es wolle Dohit mit einem Pfeil erschießen. Dieser sagte zu Baka, er solle nach einem dicken Baum schießen. Baka schoß, und der Pfeil ging durch den Baum hindurch. Dohit wurde ein wenig bange. Er bat ihn, noch einen Pfeil abzuschießen. Dieser blieb aber im Baume stecken. Baka ging hin und kletterte hinauf, um den Pfeil herauszuziehen. Auf den Baum gekommen, wurde er in ein Eichhörnchen verwandelt.

Dohit wanderte weiter und schoß wie ein spielender Knabe überall Pfeile in die Bäume. Ein Pfeil blieb in einem Baum sitzen. Dohit konnte ihn nicht herausbekommen. Er verwandelte ihn in einen Nachtaffen.

Weiter zog er und traf einige Vögel, Kena. Er wollte fliegen wie diese. Jeder der Vögel lieh Dohit eine Feder, die er an den Schultern befestigte. Aber Dohit konnte nicht fliegen. Jeder lieh ihm noch eine Feder, und nun konnte er fliegen. Er flog zusammen mit den Kenas hoch hinauf in die Lüfte. Sie kamen in die Nähe eines Dorfes. Da zogen die Vögel die Federn heraus, die sie Dohit geliehen hatten. Dieser stürzte in einen Chimabaum. Der begann zu wachsen, und wuchs so hoch, daß Dohit nicht wieder herunterkommen konnte. Er machte sich darauf ganz klein und kroch auf den Rücken einer Spannerraupe. Diese brachte ihn herunter vom Baum. Eine kurze Strecke vom Boden entfernt warf die Raupe Dohit ab. Er fiel herunter und blieb in einem Dorn hängen.[267]

Dohit rief den Jaguar herbei, damit dieser ihn losmache. Der Jaguar konnte es nicht, sondern zerschnitt sich die Zunge. Dohit rief nun die große Wildkatze herbei. Diese konnte ihn auch nicht losbekommen. Dohit rief nun die kleine Wildkatze herbei, und diese befreite ihn.

Dohit wanderte weiter und kam zu einem Dorfe, in dem sehr viele Leute wohnten. Dort wohnte ein Zauberer. Dieser spielte gerade mit einem brummenden Kreisel. Der Zauberer saß auf einer Schlange. Einen Augenblick stand der Zauberer auf und ging umher, um etwas zu suchen. Da ging Dohit hin und setzte sich auf die Schlange.

Der Zauberer machte Dohit den Vorschlag, ein Kampfspiel zu veranstalten; und so schlug er durch Dohits Kopf und Körper einen Stock, so daß er am Boden festgenagelt war. Dohit versuchte sich zu bewegen, und die Erde bebte und war nahe daran, umzufallen. Der Zauberer schlug noch einen Nagel in Dohits Kopf. Nun konnte er sich nicht mehr bewegen. Seitdem gibt es kein Erdbeben mehr.

Dohit gab dem Zauberer einen ganz kleinen Korb mit Wasser. Dieses wuchs und wuchs, bis es viele Lasten waren. Der Zauberer und alle Menschen im Dorfe trugen Wasser und wanderten nach den Gegenden, wo jetzt die Flüsse ihren Anfang nehmen. Zu jener Zeit waren ihre Betten nämlich trockene Wege.

Auf dem Wege ermüdeten alle Menschen und wurden in große Steine verwandelt. Der Zauberer kam allein an. Von dem Wasser, das er mit sich hatte, goß er etwas nach der einen Seite, und das wurde der Rio Manuri. Dann goß er etwas Wasser nach einer anderen Seite, und das wurde der Rio Beni.

Wenn es hier unten donnert, so ist es Dohit, der dem Zauberer befiehlt, mehr Wasser auszugießen. Hierauf antwortet der Zauberer dort oben.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 265-268.
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