Der Habgierige.[31] 24

In der Hauptstadt Japans wohnte vor Jahren ein Tischler, welcher sehr fleissig und geschickt war, aber den Fehler an sich hatte, sehr geizig und habgierig zu sein. Täglich betete er zu den Göttern, sie möchten ihm doch zwei paar Hände statt des einen, dessen sich die Menschen erfreuen, gnädig bescheren, sie würden sehen, wie treu und fleissig er sie benutzen würde. Und die Götter erfüllten seinen Wunsch und schenkten ihm in der That noch ein[31] paar Hände. Natürlich verdiente er jetzt doppelt so viel, statt aber von dem Gelde, welches er erwarb, auch armen Leuten etwas zu gute kommen zu lassen, speicherte er es nur auf und ward zugleich immer habgieriger, sodass er abermals die Götter ohne Unterlass anflehete, nochmals die Zahl seiner Hände zu verdoppeln. Wiederum fand er Erhörung; er arbeitete nun mit acht Händen, war aber immer noch nicht befriedigt und geizte in hergebrachter Weise mit seinem Gelde.

Da trat eines Tages ein Fremder zu ihm herein, lobte seinen Fleiss und seine Geschicklichkeit und pries das Wunder, das ihn mit acht Händen ausgestattet habe. »Indessen,« fügte er hinzu, »sollte es nicht viel vorteilhafter sein, wenn ihr euch, da ihr ein solcher Wundermensch seid, der mit acht Händen, gleich einer Spinne, arbeiten kann, einfach für Geld beim Volke sehen liesset? Dann hättet ihr noch viel mehr Einkommen als jetzt und brauchtet doch nicht vom Morgen bis zum Abend im Schweisse eures Angesichtes zu arbeiten, sondern nur dann und wann ein wenig, um eure Geschicklichkeit den Leuten zu zeigen.« Das leuchtete dem Tischler ein; er sagte zu dem Vorschlage des Mannes ja und liess sich sogar thörichterweise von demselben in einen Käfig sperren, um besser den Schaulustigen vorgeführt werden zu können.

Nun schleppte ihn aber der Fremde rastlos von Stadt zu Stadt; er musste überall die Menge belustigen und erhielt dafür kaum satt zu essen, während sein Führer auf seine Kosten reich ward. Mit Thränen in den Augen bejammerte er sein hartes Los; wenn aber sein Peiniger ihn klagen hörte, so bekam er noch Schläge obenein. Jetzt erst erkannte er, wie sündhaft seine Habgier gewesen, und bereute dieselbe zu spät. Der Fremde aber, der mit ihm herumzog und ihn im Käfig den Leuten zeigte, war, wie man sagt, niemand anders als ein Abgesandter des greisen Gottes von Inari, des Gehilfen der grossen Göttin des Landbaues, der den Armen und Bettlern besonders wohlwill[32] und dem Tischler eine schwere, aber gerechte Strafe für seine Hartherzigkeit und für seine sündhafte Ungenügsamkeit zukommen lassen wollte.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 31-33.
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