II.
Der geschickte Fechter.[58] 37

Es wird erzählt, dass vor 300 Jahren, als die Invasion der Japaner stattfand, Sun Cho Tah Wang sein Schloss verliess und nach Weju an der Nord grenze, 350 Meilen von Seoul, floh. Von hier aus rief er die Hilfe der Chinesen an, und der Kaiser sandte zuletzt seinen klügsten General, Yih Juh Song, zu seiner Unterstützung herbei. Als der General Yih den König erblickte, warf er ihm seine Feigheit vor und sagte, jener sei für einen Herrscher nicht geeignet. Darauf machte er Anstalten nach China zurückzukehren, in der Absicht, den König für seine Feigheit ein wenig zu strafen. Nun aber war des Königs erster Minister Yih Hong Pak, wie alle ersten Minister, ein sehr kluger Mann und er beschloss, dem König zu helfen. Er stellte einen Satz irdener Wasserkrüge in einen Kreis, mit den offenen Enden der Mitte zugewendet. Dann bat er den König, sich selbst in die Mitte des Kreises zu setzen und so laut wie möglich zu wehklagen. Dies hörte General Yih und erklärte sogleich, es sei das Geschrei des grossen Drachens.

»Nein,« sagte der erste Minister, »es ist nur unser König, der über deine Hartherzigkeit weint.« Dies machte auf den General Yih grossen Eindruck, und er kam zu der Überzeugung, dass ein König, der die Stimme des königlichen Drachens derartig nachzuahmen verstände, unterstützt[58] werden müsse. Er willigte daher ein, nach Korea zu kommen und die Japaner zu vertreiben.

Als der Krieg vorüber war, war General Yih so sehr von der Schönheit und dem Reichtum des Landes, wie auch vom herrlichen Klima, den schönen Frauen und der behaglichen Lebensweise eingenommen, dass er sich entschloss zu bleiben und das Land zu beherrschen.

Da er wenig Achtung für den König hatte, so glaubte er, er könne ihn leicht absetzen. Er schlug also sein Lager bei Mo Ha Kwan ausserhalb des westlichen Thores der Hauptstadt auf und weigerte sich seinen Abschied zu nehmen. Der König wurde durch diese neue Schwierigkeit nicht weniger geängstigt, als durch den Einfall der Japaner und beriet sich mit seinen Beamten über die Massregeln, die am zweckmässigsten zu ergreifen wären. Schliesslich bot ein mächtiger Bitter seine Dienste an, und machte sich anheischig, den General für sich allein ohne weitere Hilfe und ohne mit China Verwicklungen herbeizuführen, zum Abzug zu veranlassen. Anderenfalls solle sein Leben verwirkt sein. Seine Hilfe wurde dankbar angenommen. Er verkleidete sich nun als Priester und suchte eine Zusammenkunft mit dem chinesischen General nach, die er auch erhielt.

Als er nach seinem Beruf gefragt wurde, antwortete er, er sei etwas von einem Fechter und habe sich ein wenig mit dieser Kunst befasst. Er hoffe, im Lager des grossen Generals, den er als den besten Fechter in ganz China habe preisen hören, etwas von der Fechtkunst zu sehen. Der General, der auf seine Geschicklichkeit als Fechter nicht wenig stolz war, freute sich darüber und wollte sehen, was der Priester leisten könnte. Der aber zögerte ein wenig und meinte, er selbst mache gar keine Ansprüche darauf, für geschickt in der Fechtkunst zu gelten; in Korea gäbe es hunderte, die ihn hierin bei weitem überträfen. Endlich aber liess er sich bewegen seine Geschicklichkeit zu zeigen. Der chinesische General[59] war erstaunt und erklärte, der Priester übertreffe selbst ihn, der doch als der beste Fechter in ganz China gelte. Der Priester aber meinte, das sei nichts ausserordentliches, im besten Falle sei er ein sehr mittelmässiger Fechter, aber er habe noch ein besonderes Kunststück in petto. Er könne nämlich, während er tanze, alle Blätter eines nahe stehenden Baumes mit dem Schwert abschlagen, ohne einen Zweig zu verletzen. Gesagt, gethan. Der General war starr vor Verwunderung, und zeigte seine lebhafte Befriedigung über das Kunststück.

»Nun,« sagte der Priester, »du sagst, du seiest der beste Fechter in China. Ich kann dir zeigen, dass du gar nichts davon verstehst. Ja, selbst unsere Knaben übertreffen dich im Fechten. So will ich dir zum Beispiel zeigen, dass du nicht einmal gemerkt hast, was ich eben gethan habe. Sieh deinen Bart an!«

Der General sah hin und fühlte nach seinem langen Schnurrbart, aber er war fort und lag auf seinem Schoss, denn der Priester hatte ihn mit seinem Schwert ganz sauber abgeschnitten.

Dieses Pröbchen von Fechtkunst heilte den General von jeder weiteren Lust sich einem Volke als Herrscher aufzudrängen, das eine so wunderbare Geschicklichkeit besass. Der Priester verliess das Lager unbehelligt, und der General kehrte bald danach in die Heimat zurück. Der König aber belohnte den geschickten Fechter mit hohem Range und kostbaren Geschenken.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 58-60.
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