Yoritomo.

[224] Der blutige Zwist der Familien Taira und Minamoto endete mit der Niederlage Tametomo's keineswegs; bald erwuchs dem Sieger, Kiomori, ein neuer gefährlicher Feind in Gestalt des Bruders des Tametomo, des Yoschitomo. Das Geschick und die Energie Kiomori's wußte jedoch auch dieser Gefahr zu begegnen, und schon nach wenigen Jahren gelang es ihm, seine Feinde aufs Haupt zu schlagen. Die Gefangenen, unter welchen sich Yoschitomo's ältester Sohn befand, wurden hingerichtet; Yoschitomo gelang es zwar, dem Blutbade zu entrinnen, doch ward er auf der Flucht von Verräthern erdolcht.

Die jüngeren Kinder des Yoschitomo wurden indessen durch merkwürdige Verkettungen des Geschickes gerettet, und unter ihnen befand sich auch sein zweiter Sohn, Yoritomo, der damals erst zwölf Jahre alt war, aber die Schlacht schon als junger Held mitgemacht hatte. Im Gedränge des Kampfes war er von der Seite seines Vaters abgekommen und fiel als Gefangener in die Hände eines feindlichen Soldaten, der ihn gebunden nach Kioto schleppen und dem Regenten Kiomori vorführen wollte. Nun begab es sich, daß der Zug der Gefangenen, unter welchen sich Yoritomo befand, durch ein Dorf zu ziehen hatte, in welchem eine ehemalige Nebenfrau Yoschitomos mit ihrer Tochter, Yoritomos Halbschwester, lebte. Mit tiefem Kummer erkannte diese ihren Bruder unter den Unglücklichen, die einem sicheren Tode entgegen gingen, und rief, sie wolle mit ihm ziehen und sein Schicksal theilen. Als die Soldaten sie zurückwiesen und nicht zu Yoritomo lassen wollten, lief sie, ohne sich zu besinnen, dem nahen Strome zu und sprang in die Fluthen, um den Tod zu finden. Dies rührte das Herz des Soldaten, dessen Gefangener Yoritomo war, und so fragte er diesen, ob er wohl am Leben bleiben möchte. Yoritomo erwiderte: »Ja, das wünsche ich; denn obwohl meine Lage so trostlos ist, wie möglich, und der[225] Schmerz um meine Angehörigen mir niemals Ruhe lassen wird, so ist doch außer mir Niemand da, der für ihr Seelenheil beten könnte.« Dies bewog den Soldaten vollends, alles aufzubieten, um das Leben des Knaben zu retten, sofern er es ohne Verletzung der Pflichten gegen seinen Kriegsherren vermöchte. Als er in Kioto angelangt war, begab er sich daher zuvörderst zu Kiomori's Stiefmutter, einer sehr frommen Dame, welche als Nonne in einem buddhistischen Kloster lebte und bei Groß und Gering in hohem Ansehen stand. Diese hörte sein Anliegen, daß sie Yoritomo unter ihren Schutz nehmen möchte, gütig an und befahl, ihr den Knaben zu bringen. Als sie Yoritomo erblickte, fand sie, daß er mit einem Sohne, der ihr früh verstorben war, eine wunderbare Aehnlichkeit habe, und verstand sich sofort dazu, bei ihrem Stiefsohne Fürbitte für ihn einzulegen. So ward Yoritomo's Leben gerettet. Er ward auch sehr ehrenvoll, obwohl streng, gefangen gehalten; er mußte in eine entlegene Provinz, zu einem Fürsten Namens Morinaga, ziehen und ward hier von zwei Offizieren, die Kiomori eigens dazu ausersehen, nicht aus den Augen gelassen; mit ihrem Leben mußten diese beiden dafür haften, daß Yoritomo sich nie entfernte und nie mit Angehörigen oder Untergebenen seiner Familie zusammen käme.

So lebte Yoritomo Jahre lang in tiefster Zurückgezogenheit und wuchs zu einem herrlichen Jüngling heran. Wohl ward es ihm oftmals nahe gelegt, er möchte Mönch werden; dann könne er gehen, wohin er wolle, und sei überall seines Lebens sicher. Dies verschmähte er aber, denn im stillen gab er den Plan niemals auf, sich endlich doch noch an dem Manne zu rächen, der ihm Vater und Bruder geraubt, so geduldig er auch wartete und so wenig er, solange die Zeitläufe ungünstig blieben, sich auch nur das geringste merken ließ.

Doppelt freute es ihn aber, daß er dem weltlichen Leben nicht entsagt hatte, als er zu der wunderschönen Masago, der ältesten Tochter seines obersten Gefangenwärters, des Fürsten Morinaga, eine heftige Liebe faßte. Zwar war diese seine Liebe[226] anscheinend hoffnungslos; als Gefangener durfte er es kaum wagen, mit einer Werbung um die edle Fürstentochter hervorzutreten. Ein Umstand indessen, der Anfangs nur neue Hindernisse herbeizuführen schien, brachte ihn gegen alles Verhoffen an das Ziel seiner Wünsche.

Masago's Mutter war früh gestorben, Morinaga hatte sich abermals vermählt und besaß noch eine jüngere Tochter aus zweiter Ehe, die aber bei weitem weniger schön war als Masago. Diese jüngere Schwester seiner Geliebten nun hatte sich ihrerseits in Yoritomo verliebt und überredete ihre Mutter, dies demselben kund zu geben. Yoritomo war in Verzweiflung; sollte er den Morinaga, der stets gütig gegen ihn gewesen war, dadurch gegen sich aufbringen, daß er die Hand seiner Tochter verschmähete? Wenn ihm hier neue Feinde erstanden, so war das Ende nicht abzusehen; vielleicht würde sein Leben in Gefahr kommen, mindestens aber hätte er eine viel schwerere und trostlosere Haft zu gewärtigen. Auch bedachte er, daß Masago noch gar nichts von seiner Liebe wisse und vielleicht ganz gleichgültig gegen ihn gestimmt sei. So schrieb er denn mit schwerem Herzen einen Brief, in dem er um die Hand von Morinaga's Tochter bat, und beauftragte einen alten, vertrauten Diener, diesen Brief der jüngeren Tochter, der Schwester der Masago, zu übergeben.

Der treue Diener aber hatte den Schmerz seines Herrn wohl bemerkt; er wußte, wie sehr derselbe die Masago liebte, denn er hatte gar oft die Klagen gehört, welche dieser in der Einsamkeit ob seiner hoffnungslosen Liebe laut werden ließ. So beschloß er denn, auf eigne Gefahr hin dem Yoritomo zum Ziele seiner Wünsche zu verhelfen. Als er in die Wohnung der beiden Schwestern kam, übergab er den Brief nicht der jüngeren, sondern der Masago.

Diese war darüber hocherfreut; denn ohne daß es Yoritomo ahnte, erwiderte sie seine Liebe ebenso heiß und innig. Nun traf es sich gar wunderbar, daß sie so eben von ihrer Schwester einen[227] glückverheißenden Traum erhandelt hatte, wie dies unter den jungen Mädchen in Japan öfter vorkommt.

Der jüngeren Schwester hatte nämlich geträumt, eine weiße Taube käme in ihren Schoß geflogen und legte ein goldenes Ei. Masago, die ohne Unterlaß an Yoritomo dachte, bezog dies auf Niemand anders als auf ihn; sie machte ihrer Schwester den Vorschlag, sie möge ihr den Traum und alles, was damit zusammenhänge, überlassen und dagegen einen zauberkräftigen Spiegel hinnehmen, welcher seiner Besitzerin herrliche Schönheit verleihe; die Schwester, die hierdurch eben so schön zu werden hoffte, wie Masago, hatte freudig eingewilligt. So fand es denn auch die jüngere Schwester ganz in der Ordnung, daß jenes Schreiben Yoritomo's an Masago gelangte, und versprach sogar, sie wolle der Masago behülflich sein, des Geliebten Hand zu erlangen. Masago aber gab dem Diener ein Antwortschreiben mit, in welchem sie Yoritomo's Bewerbung annahm und ihm ihrerseits ihre Zuneigung zu erkennen gab.

Yoritomo fühlte sich überglücklich; er eilte nun zu Morinaga und brachte seine Bewerbung an. Aber ach, er kam zu spät; Morinaga hatte so eben erst einem seiner besten Freunde die Hand seiner älteren Tochter zugesagt und bereits die Hochzeitsfeierlichkeit anberaumt. Es that ihm leid, den Wünschen seiner geliebten Tochter Masago und auch des Yoritomo, für dem er aufrichtige Freundschaft fühlte, entgegen zu treten; allein seine einmal gegebene Zusage konnte und durfte er nicht zurücknehmen.

Als indessen Masago dies vernahm, war sie keineswegs gewillt, sich ohne weiteres zu fügen, vielmehr schickte sie eine Bootschaft an Yoritomo, durch welche sie ihn aufforderte, er solle, noch ehe ihre Verheirathung stattfände, kommen und sie in sein Haus holen. Dies that denn auch Yoritomo ohne Zögern, und als er Masago glücklich unter sein Dach gebracht, vermählte er sich mit ihr durch die übliche Ceremonie des Weintrinkens; anderen Tages aber begaben sich beide Gatten zu Morinaga und baten[228] ihn um Verzeihung. Da er nun das Geschehene nicht mehr ändern konnte, seine Tochter aber ebenso innig liebte, als er dem Yoritomo zugethan war, so verzieh er ihnen nicht nur, sondern wußte auch den Bräutigam, welchen Masago verschmäht, bald wieder zu versöhnen. Seit jener Zeit aber ward er immer enger mit Yoritomo befreundet, so daß dieser ihn endlich in seine Pläne einweihete und einen seiner treuesten Helfer an ihm fand.

Es währte jedoch noch eine Reihe von Jahren, bevor Yoritomo daran denken konnte, sich offen gegen Kiomori aufzulehnen. Aber endlich kam doch die Zeit heran, denn der Uebermuth des Gewalthabers war von Jahr zu Jahr gestiegen, und die Zahl seiner Feinde vermehrte sich fortwährend. Ein gewaltiger Heerhaufen hatte sich unter dem Befehl Yoritomo's gesammelt und rückte von Osten her heran; Kiomori's Streiter kamen ihnen von Kioto aus entgegen, und im Hakonegebirge, am Fuße eines Berges, den die alten Geschichtsbücher Ischibaschiyama, den Berg an der Felsbrücke nennen, stießen die beiden Heere auf einander. Yoritomo leuchtete allen voran durch seine unvergleichliche Tapferkeit; es war, als ob der Kriegsgott Hatschiman selber seine Pfeile lenkte, denn jeder derselben streckte einen Feind zu Boden. Doch das erprobte Kriegsglück Kiomori's ließ auch diesmal seine Gegner nicht zum Siege gelangen, und schließlich räumten dieselben in wilder Flucht den Kampfplatz.

Auf dieser Flucht schirmte der Götter Hand den Yoritomo recht sichtlich. Die Feinde waren ihm und einem treuen Waffengefährten Namens Nawozane dicht auf den Fersen; da machte dieser dem Yoritomo, der aufs äußerste erschöpft und kaum noch im Stande war, weiter zu fliehen, den Vorschlag, er möchte sich in einem hohlen Baume verbergen, während er selber weiter flüchten und die Feinde hinter sich her locken wollte. Nun hielten freilich die Verfolger bei dem hohlen Baume still und ließen Nawozane ruhig entkommen; denn sie muthmaßten, daß der eine Krieger, den man nicht weiter fliehen sah, sich dort verborgen habe. Einer von ihnen nahm sogar seinen Bogen und stieß mit ihm in die[229] Höhlung des Baumes hinein. Schon berührte er fast den Panzerärmel Yoritomo's, und dieser gab sich verloren, als ein Taubenpaar aus dem Baume emporflatterte und den feindlichen Kriegern die Ueberzeugung gab, daß an dieser Stätte kein Mensch versteckt sein könne. Man sagt, dies Taubenpaar sei ausdrücklich zu Yoritomo's Rettung vom Gotte Hatschiman selber entsandt. Yoritomo aber pries das Wunder und verlieh nachmals, als er zur Macht gelangt, den Nachkommen seines Freundes Nawozane eine Taube als Wappenzeichen. Noch aber war Yoritomo nicht außer Gefahr, da die feindlichen Soldaten emsig die ganze Nachbarschaft durchsuchten; allein die Götter halfen ihm weiter und verjagten durch einen gewaltigen Platzregen seine Verfolger.

So entkam Yoritomo nach Kamakura, wo sich seine Freunde aufs neue um ihn scharten und namentlich sein Schwiegervater ihm zahlreiche Kampfgenossen zuführte. Er zog nun abermals aus und war auf seinem Marsche nach Westen bereits an den Fujifluß gelangt, als ihm am jenseitigen Ufer des hoch angeschwollenen Stromes ein weit stärkeres Heer entgegentrat, das der stets kampfbereite Kiomori auf die Kunde von dem abermaligen Angriffe gegen seine Widersacher ausgesandt hatte. Wohl wären die Streitkräfte Yoritomo's auch diesmal verloren gewesen und der Uebermacht erlegen, wenn nicht die Macht des Stromes das Heer Kiomori's am Ueberschreiten gehindert hätte. Während nun aber die Heere sich gegenseitig ängstlich beobachteten, kam es einigen der Soldaten im Heere Kiomori's in den Sinn, ihre Gegner zu überfallen, und zu diesem Behufe suchten sie im frühesten Morgengrauen ein Furt auf, deren Lage sie von früher her kannten, die aber wegen der Ueberschwemmung der Flußufer nicht gleich zu finden war. Während die Schar nun in den sumpfigen Niederungen suchend hin und her ritt, stieß sie auf eine große Menge wilder Enten, die sich mit ungeheurem Geschrei erhoben und gegen das Lager der Truppen Kiomori's heranflogen. Nun glaubten diese, daß ihre Feinde die Furt entdeckt und zu einem Ueberfalle benutzt hätten, und eine unerklärliche Angst trieb sie[230] in weite, weite Flucht. Als das Heer Yoritomo's am Morgen erwachte, sah es zu seinem Erstaunen keinen Feind mehr am anderen Ufer. Man befestigte nun die eigene Stellung; Yoritomo kehrte, von froher Hoffnung erfüllt, nach Kamakura zurück und sammelte immer mehr Streitkräfte zu dem Rachekampfe, dessen Ausgang indessen Kiomori nicht erlebte; denn er starb sehr bald nach den eben erzählten Begebenheiten, und wie die Sage berichtet, ward er zur Strafe seiner Gewaltthätigkeiten, von denen selbst Glieder der Kaiserfamilie nicht immer verschont blieben, von einem inneren Feuer verzehrt.

Erst nach dem Tode dieses übermächtigen Widersachers war dem Yoritomo und seinen Verwandten der endliche Sieg beschieden, in Folge dessen Yoritomo unter dem Titel eines Schogun oder kaiserlichen Obergenerales – ganz ähnlich den späteren, bis vor kurzem in Japan regierenden Schogunen – in den Besitz der höchsten Macht im Reiche kam.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 224-231.
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