Bekehrter Geizhals.

[397] Vor Jahren lebte ein Mann, der war so erpicht auf das Anhäufen von Geld, daß er keinem Bettler auch nur das geringste Almosen spendete und nie einem Priester oder einem Tempel eine noch so kleine Opfergabe schenkte. Zuletzt ging er sogar damit um, alle seine Diener zu entlassen, obgleich sie ihm treu dienten; denn er meinte, er könnte das Geld sparen, das er ihnen geben und auf ihren Lebensunterhalt verwenden mußte.

Da geschah es, daß er schwer erkrankte, und nun war er zwar sehr froh, seine Dienerschaft noch nicht weggeschickt zu haben, aber er verharrte immer noch bei seiner schmutzigen, geizigen Denkungsart und verschob jenen Vorsatz nur bis auf bessere Tage. Seine Krankheit nahm indessen immerfort zu, und zuletzt war er rathlos, was er dagegen anwenden sollte. Eines Nachts lag er allein auf seinem Schmerzenslager, die Diener hatten das Nachtlicht in dem dazu bestimmten, mit Papier überzogenen Kasten angezündet und sich entfernt. Da trat ungemeldet ein Mann in Priestertracht bei ihm ein. Der Geizhals fing an zu schelten und rief: »Ich gebe euch Priestern nichts, laßt mich in Ruhe.« Der Priester aber, statt wegzugehen, setzte sich dicht neben seinem Lager nieder und erwiderte zornig: »Glaub' nicht, daß ich von deinem Gelde etwas will; das ist mit Sünden[397] befleckt und mit Fluch beladen. Wohl aber will ich dir aus bloßem Mitleid sagen, womit du dich noch retten kannst. Thue Gutes, schenk von dem deinen so viel du irgend kannst den Armen; weigerst du dich dessen, so mußt du sterben!« Als der Geizhals diese Worte vernahm, ward er ganz wüthend; er sprang auf, ergriff einen Dolch, den er unter den Decken seines Lagers in Bereitschaft hatte, und fiel damit den Priester an. Dieser aber aber lachte höhnisch und wich ihm aus, indem er zugleich den Papierkasten mit dem Nachtlichte umstieß, so daß dieses verlöschte. Und nun rief er mit veränderter, unheimlicher Stimme: »Jetzt ist es um dich geschehen! Jetzt werde ich dir das Blut vollends aussaugen, wie ich es schon manche Nacht vorher gethan habe, um dich krank und elend zu machen und dich für deine Schlechtigkeit zu strafen!« Der Geizhals fühlte, wie ein rauher, mit borstigen Haaren besetzter Gegenstand ihn umklammerte, und wie sein Hals zu schmerzen anfing, als ob Jemand sich hineinbisse. In äußerster Todesangst schrie er aus Leibeskräften und hieb zugleich wie wahnsinnig mit seinem Dolche um sich. Auf das Angstgeschrei kamen alsobald die Diener mit Licht herbei, und da fühlte der Geizhals, wie sein Widersacher von ihm abließ. Die Diener sahen ihn nicht mehr, fanden jedoch den blutigen Stummel eines Gliedes, ähnlich einem riesigen Spinnenfuß, von schwärzlicher Farbe, so hart wie Horn und mit borstigen Haaren bedeckt. Er hatte offenbar dem Gespenste gehört und war von ihrem Herren in seinem Verzweiflungskampfe demselben abgehauen; das war auch aus einer breiten Blutspur ersichtlich, welche das vampyrartige Geschöpf auf seiner Flucht aus dem Zimmer zurückgelassen hatte. Nun wollten die Diener gern die Sache ergründen, und während einer von ihnen bei dem zum Tode erschreckten Herren als Wache blieb, folgten die anderen der Spur, welche bis in den Garten, bis zu einem der künstlich aufgeschütteten Steinhaufen führte, mit welchen die Japaner ihre Gärten auszustatten lieben. Hier bemerkten sie, wie zwischen den Steinen riesengroße Spinnenfüße mit ihren Enden hervorsahen,[398] sie wagten aber dem Ungethüme nichts anzuthun, und als sie noch unschlüssig dastanden, erscholl eine drohende Stimme: »Entfernt euch rasch und sagt eurem Herren, wenn er sich nicht bessere, sei er dennoch verloren, denn alsdann würde ich wiederkommen und ihn zu Grunde richten.« Sie berichteten, was sie gesehen und vernommen; der Geizhals aber war nunmehr wirklich in Angst und Schrecken. Er gelobte Besserung, gab große Summen an Priester und Tempel, that den Armen viel gutes und hielt seine Diener aufs beste. Er blieb daher auch von der Vampyrspinne verschont und erreichte ein hohes Alter.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 397-399.
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