10. Das Märchen vom Schwein.

[45] Es war, es war nicht – was gibt es Besseres als Gott – es war einmal ein armes, kinderloses Ehepaar, das besaß ein Schwein. Dieses Schwein aber war ein solches Schwein: es riß das Maul auf, nahm den Eimer, ging ans Wasser, füllte ihn und brachte ihn nach Hause. Es fegte das Haus, es wusch das Geschirr, kurz, es verstand das Hauswesen ganz ausgezeichnet. Eines Tages nahm das Schwein die Wäsche und ging in einen finstern Wald. Dort sah es ein Königssohn, der da gerade auf der Jagd war, wie es ans Wasser ging, sein Schweinefell abwarf und ein so schönes Mädchen wurde, daß der Glanz von seiner Schönheit über alle Berge strahlte. Der Königssohn ließ das Mädchen nicht aus den Augen und blickte ihm tief in die schönen, blanken Augen. Das Mädchen aber wusch seine Wäsche, zog seine Schweinehaut wieder an und watschelte nach Hause. Der Königssohn folgte ihm, betrat die Hütte, in die das Schwein gehörte, und sagte zu dem Manne, er wolle diese Nacht bei ihm zubringen. »Wir sind nicht würdig, daß Ihr[45] die Nacht unter unserm Dache bleibt,« sagte der Mann, »und wir haben nichts zu essen und nichts zu trinken und kein Bett, das für Euch passen würde. Wir sind arme Bauern ...« »Das macht nichts,« entgegnete der Königssohn, »macht Euch deshalb keine Sorgen, mein Bett und mein Abendbrot werden schon kommen.« Und wirklich blieb der Königssohn die Nacht da; er hoffte das Schwein noch zu sehen, aber der Alte lud ihn ein, sich niederzulegen. Am nächsten Morgen bot der Königssohn dem Bauern zehn Goldstücke für sein Schwein, aber vergebens. »Dies Schwein ist unser Ernährer,« sagte der Bauer, »was sollen wir anfangen, wenn wir's weggeben?« Dann bot der Königssohn zwanzig Goldstücke, steckte das Schwein in seine Satteltasche und machte sich auf den Weg. Als er nach Hause kam, erklärte er seinem Vater, er wolle das Schwein heiraten. Der Vater ärgerte sich schrecklich: »Was fällt dir ein, ein Schwein zu heiraten,« sagte er, »wie kommst du dazu, Schande auf dich und unser ganzes Haus zu häufen?« »Vater, davon hängt mein Glück ab; was soll ich machen!« Der König antwortete gar nichts; aber die Heirat kam zustande. Das junge Ehepaar bekam ein altes Zimmer zugewiesen; »das paßt gerade für so ein Paar«, sagte der König. Der Königssohn aber führte das Schwein in das Zimmer und sagte: »So, jetzt streif deine Schweinshaut ab!« Das tat das Schwein, und es kam eine so schöne Jungfrau zum Vorschein, daß die Sonne sich vor ihr schämen mußte. Und dann warfen sie sich einander in die Arme.

Alles das aber hatten die Minister gesehen, die der König dem Ehepaar nachgeschickt hatte mit dem Befehl, ordentlich aufzumerken, was die beiden treiben würden. Gleich liefen sie zum König und erzählten ihm, was sie gesehen hatten. Der Königssohn aber nahm seine Frau und stellte sie seinem Vater vor. Der freute sich ungemein, segnete das Paar und setzte ihnen Kronen auf.

Nun war der Vezier schrecklich neidisch auf den Königssohn geworden. »Hat sich der ein kleines Schweinchen[46] gebracht,« sagte er zu sich selber, »das einzige, das der Bauer besaß, und daraus ist ein Mädchen geworden, so schön, wie man nie eins gesehen hat. Ich will doch aus den ganzen Herden das größte Schwein auswählen und es kaufen.« Das tat er auch; ging zu allen Schweinehirten, wählte das größte Schwein aus und kaufte es ihnen ab. Dann band er es auf sein Pferd; das Schwein aber quiekte, was es nur konnte; es sprang sogar vom Pferde und lief wieder zu seiner Herde. Der Vezier aber holte es zurück und brachte es unter vielem Geschrei und Sträuben nach Hause. Dann schleppte er es in die Kirche, um sich trauen zu lassen. Das Schwein führte sich fürchterlich auf, warf die Leuchter um und schlüpfte dem Geistlichen, dem Bräutigam und den Eingeladenen zwischen den Beinen durch. Doch gelang es schließlich, die beiden zu trauen, und der Vezier führte seine Neuangetraute ins Brautgemach, küßte ihr den Hals, streichelte sie und bat: »Bitte, bitte, werde doch ein Mädchen; was zierst du dich?« Aber die Braut wurde immer böser und wilder. Wieder küßte er sie auf den Hals; aber da packte sie ihn mit den Zähnen und biß ihm den Hals durch. Dann kehrte das Schwein wieder zu seiner Herde zurück, und den Vezier trugen sie auf den Friedhof. So endete die Ehe zwischen Vezier und Schwein! ...


Leid dort, Freude hier,

Kleie dort, Mehl hier.

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 45-47.
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