12. Hösbek.1

[407] Einst lebte in Jemen (Arabien) ein Juwelier. Nach seinem Tode zog dessen Sohn Hösbek mit seinem Diener aus, um Edelsteine für seinen Bedarf zu kaufen. In einer Stadt angekommen, liess er sich bei einem Manne als Gast nieder. Abends öffnete sich plötzlich die Tür, eine Frau trat herein, stiess ein wildes Geschrei aus und fiel ohnmächtig zu Boden. Hösbek erfuhr von dem Manne, dies sei seine Frau, die seit sieben Jahren an einer unbegreiflichen Krankheit leide. Am nächsten Abend kehrte er in einem anderen Hause ein, dessen Besitzer schon seinem Vater Edelsteine geliefert hatte; dieser erzählte dem Hösbek, er habe seine Frau vor sieben Jahren verloren, vermöge sich aber nicht von ihr zu trennen; täglich dreimal öffne er ihren Sarg und schaue sie an.2 Hösbek gelobte, die ihm geschenkten Edelsteine nicht eher abzuholen, als bis er ein Heilmittel für dies Leiden gefunden. Er kam in eine andere Stadt, die er in tiefer Trauer fand; eine alte Frau erklärte ihm, in der Stadt wohne ein Mädchen, deren Freier immer am Tage nach der Werbung irrsinnig würden und nackt auf dem Sandfeld hin und her liefen. Hösbek schickte seinen Diener zu dem Mädchen, um sich um ihre Hand zu bewerben. Das Mädchen hiess ihn, sich auf eine Wage setzen und die Augen zumachen; darauf versetzte sie ihm einen Fussstoss von hinten, und er fiel auf einen Fels inmitten des Meeres. Ein Vogel kam geflogen; er ergriff einen seiner Füsse und befand sich in wenigen Minuten im Garten eines Palastes. Abends kehrten singend und spielend dreissig Perì (Feen) heim und setzten sich zu Tisch; der Diener wurde hinaufgebracht und bewirtet. Die älteste der Feen befahl ihm, die Nacht den Palast zu bewachen und die Tür nicht zu öffnen, wenn vierzig andere Feen kämen, um für den getöteten Bruder ihrer Ältesten Rache zu nehmen. Nachts zogen die Feen ihre Kleider an, flogen aus dem Fenster, kehrten wieder zurück und forderten den Diener auf, die Tür aufzumachen, da sie ihre Gegnerinnen niederschlagen wollten; dafür versprach ihm die Älteste ihre Hand. Bezaubert von ihrer Schönheit öffnete er die Tür, und die Feen gingen hinein. Nächsten Morgen hiess die älteste der Feen den Diener kommen und mit geschlossenen Augen auf ihre Füsse treten; darauf versetzte sie ihm einen Fussstoss, und er befand sich nackt inmitten der Irrsinnigen auf dem Sandfelde laufend.

Als Hösbek das traurige Schicksal seines Dieners sah, entschloss er sich, selbst um die Hand des Mädchens zu werben. Ihm geschah das gleiche; der Meeresvogel brachte ihn in den Feenpalast. Er hielt jedoch das Wort, das er der Feenältesten gegeben, und öffnete die Tür nachts nicht; deshalb erhielt er ihre Hand, doch liess ihn die Schöne schwören,[408] dass er sie nie schlagen würde. Hösbek bat sie um ein Heilmittel für seinen Diener und für die kranke Frau seines ersten Wirtes. Er erhielt von ihr ein Taschentuch, mit dem er die Augen des ersten reiben sollte, worauf die Vernunft zu ihm zurückkehren werde; für den anderen gab sie ihm einen Apfel, den der Mann mit seiner Frau teilen sollte. Zu dem Juwelier aber, der seine Frau nicht begraben liess, wollte sie eine ihrer Dienerinnen schicken. Darauf gab sie dem Hösbek einen Ring, den er umdrehen solle, wenn er sie bei sich sehen wolle. So wurden der Diener und alle unglücklichen Freier des bösen Mädchens geheilt; die kranke Frau ass die Hälfte des Apfels und wurde wieder gesund; der Juwelier liess sofort seine Frau begraben, als die Fee zu ihm kam. Hösbek erhielt von ihm zum Danke mehrere Lasten Edelsteine und kehrte mit seinem Diener nach Jemen zurück. Er drehte den Ring, und die Frau erschien bei ihm. Als sie einst zu Hause sassen, kam ein Bär durch die offene Tür herein; die Frau warf ihm sofort ihren Sohn in den Rachen, und der Bär entfernte sich. Im Ärger darüber versetzte Hösbek seiner Frau einen Stockschlag; diese stand auf und flog hinweg.

1

Eminsche Ethnograph. Sammlung 5, 60–70; dazu Noten in der Beilage S. 2. Der Erzähler ist der uns schon bekannte Satik.

2

[Vgl. G. Paris, oben 13, 18.]

Quelle:
Chalatianz, Bagrat: Kurdische Sagen. In: Zeitschrift für Volkskunde 15-17 (1905-1907), S. 407-409.
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