Fünfzehnte Erzählung.

[156] Da lebten einst in früherer Zeit vier Damen von äußerst zarter Constitution. Der ersten Dame schwollen ihre Hände, wenn sie Jemand Anderes Reis stoßen1 sah. Die Zweite fühlte ihre Brust wie zerschlagen, wenn sie Jemand Anderes die Trommel rühren sah. Die Dritte hatte ein Gefühl von Müdigkeit in dem Handgelenk, wenn sie Jemand Anderes Wasser holen sah, und die Vierte war am ganzen Körper wie gequetscht, wenn die Mondstrahlen auf sie fielen. »Welche von den vier Damen nun war die am meisten sensitive und am zartesten organisirt?« Das Kissen rief sogleich: »Ich durchschaue das deutlich genug, das weichste und empfindlichste Fleisch war das derjenigen Dame, deren Handgelenke ermüdeten, wenn sie Jemand Anderes Wasser tragen sah.« Hierauf lächelte der Prinz und sagte dann: »Wie, Madame Kissen, Sie, die mit einem Platz im Innern des Bettes beehrt werden, Sie, die beständige Begleiterin, so dicht und nahe zu den Ohren und Augen Ihrer königlichen Hoheit der Prinzessin, Sie können keine bessere Erklärung geben? Sie sollten sich schämen!« Die Prinzessin aber, als sie hörte, wie stümperhaft das Kissen den Sinn der Erzählung ausgedeutet hatte, entbrannte in grimmigem Zorn. Sie erhob sich, und das Kissen hervorreißend, sagte sie mit ärgerlicher Stimme: »Du verschrobenes Ding von einem Kissen, kannst Du Nichts Besseres ausdenken als solche Faseleien?« Und sie nahm das Kissen und zerrte es umher und zerfetzte es in lauter kleine Stücke, die sie Handvoll umherschleuderte und so weit wie möglich von sich warf. Dann sagte sie: »Die empfindlichste Dame ist diejenige, deren Körper sich durch die Mondstrahlen zerschlagen fühlte. Sie übertraf an Feinheit des Gefühls bei Weitem die drei Anderen.« Als die zur Wache aufgestellten Diener die Prinzessin sprechen hörten, ließen sie fröhliche Melodien erschallen. Sie stießen in die Posaunen, sie bliesen und pfiffen und trommelten, wie sie in den früheren Nachtwachen gethan hatten.

Mit der ersten Dämmerung des nächsten Morgens verließen der Prinz und sein Milchbruder das Schloß und kehrten nach des reichen Mannes Haus zurück. Dieser was äußerst erstaunt, als er sie kommen sah und sagte: »Von all den Leuten, die in jenes Schloß eingetreten sind, ist noch Keiner zurückgekehrt. Und es sind ihrer Viele, die dort umkamen. Wie ist es denn mit Euch? Seid Ihr nicht hineingegangen und habt Euch so gerettet?« Der Prinz erwiederte: »Wir waren dort und haben unsere Wache richtig gehalten.«

Als Seine Majestät der König in der Audienz der Großen und Edlen des Hofes saß, fragte er sie und sagte: »An wem war in voriger Nacht die Reihe in dem Schlosse zu wachen?« Die Edlen gaben respektvoll und ehrerbietigst zur Erwiederung: »Die Reihe war an dem Sohn des reichen Mannes.« »Sendet Einen hin und dringt ihn hierher,« befahl der König. Die Großen gingen nach dem Haus des reichen Mannes und sagten: »Die königliche Majestät geruht Euer Wohlgeboren zu befehlen, am Hofe zu erscheinen.« Der reiche Mann erschrak und fühlte große Furcht, doch mußte er Folge leisten und ging, den Prinzen mit sich nehmend, zum Palaste. Nachdem er seine demüthigste Huldigung bezeigt hatte, wurde das königliche Wort an ihn gerichtet: »War diese Nacht die Reihe an des Kaufmanns Sohn in dem Schlosse Wache zu halten?« Der reiche Mann, nachdem er seine schuldige Ehrerbietung bezeigt hatte, flehte und bat: »So hatte das Loos getroffen, aber dieser Jüngling hier erbot sich, die Wache zu übernehmen.« Dann war da ein königliches Gebot, also sprechend: »Wer bist Du und wessen Sohn und wo ist Dein Volk und von wannen kommst Du? Gib klaren und deutlichen Bericht und Alles der Wahrheit gemäß.« Der Prinz flehte2 und bat und sagte: »Euer Sklave ist der Sohn des Königs, der in der Stadt Makharat herrscht. Ich verließ meine Heimat, um in der Stadt Takkasinla die Wissenschaften zu studiren. Ich verabschiedete mich dann von meinem Lehrer, um nach Hause zurückzukehren, und auf dem Wege dahin bin ich durch diese Stadt gekommen.« Als König Phitsaxumaharat diesen Bericht hörte, bezeigte er große Freude. Er erhob den Prinzen über alle seine Großen und traute ihm die Prinzessin als Ehegemahl an. Als dieser später bei dem Tode des Königs den Thron bestieg, überschüttete er seinen Milchbruder mit Ehren und erhob[156] ihn schließlich zu dem Range des zweiten Königs (Upaxath), und herrschte mit ihm in der Stadt Phixai-Nakhon.


Diese bis dahin lesbare Erzählung endet leider in einer Weise, daß sie höchstens lateinisch wiedergegeben werden könnte, und deshalb breche ich vorläufig ab. Sie ist einer Märchensammlung entnommen, die aus dem Sanskrit übersetzt scheint und gleich dem Pantschatantra und ähnlichen Büchern aus einer Reihe in einander geflochtener Erzählungen besteht. Die Erzählungen sind in den Mund der Prinzessin Kankras gelegt, die, um ihren Vater vom Tode zu retten, den König von Pataliput (Palibrotha), mit Märchen unterhält. Von solchen Sammlungen enthält die gegenwärtige zwischen 80 bis 90 verschiedene Erzählungen.

Bei den Verwandlungen, welche der König gewordene Prinz in der Folge erfährt, findet er sich durch unvorsichtige Anwendung seiner Kunst für längere Zeit in Thierleiber eingeschlossen und hat, seines Thrones beraubt, ähnliche Schicksale zu leiden, wie sie in den indischen Märchen über den wahren und falschen Vikramaditya in Umlauf sind.

Fußnoten

1 Zum Enthülsen des Paddy in hölzernen Mörsern, ein tägliches Hausgeschäft in den Reis essenden Ländern Indiens.


2 Nach dem orientalischen Hofceremoniell ist jedes Wort, das an den König gerichtet ist, ein flehendes, und wird auch in den Büchern stets mit einem solchen Ausdruck bezeichnet, wogegen alle durch den König gesprochenen Worte in der Form eines Befehles gegeben werden.

Quelle:
Bastian, Adolf: Ein siamesisches Märchen. In: Globus # (Sept. 1866).
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