Mehmed, der Kahlköpfige.

[37] Wo es war, oder wo es nicht war, und wenn es auch war, so war es noch damals, als das Kameel nur Bote war, die Kröte Flügel hatte, und ich über Berg und Tal schweifte, also zu jener Zeit, da lebten zwei Brüder beisammen.

Ausser ihrer Mutter und der Armut fiel ihnen auch ein kleiner Viehstand von ihrem Vater als Erbe zu. Eines Tages bekam der Jüngere, der kahlköpfig war, Lust, das Erbe aufzuteilen und trat mit diesen Worten vor seinen Bruder hin: »Bruder, siehst du diese beiden Ställe hier? der eine ist neu, der andere verfallen. Lassen wir unsere Rinder frei, die welche von ihnen in den neuen Stall gehen, seien mein; die übrigen mögen dir gehören« – »Nicht so, Mehmed,« versetzte der Ältere, »diejenigen sollen dir gehören, welche in den alten Stall hineingehen.« Der kahle Mehmed gab sich auch damit zufrieden. Sie liessen also noch an demselben Tage ihre Rinder los, und alle eilten in den neuen Stall hinein, nur ein schäbiges Rind ging in den alten Stall, weil es eben blind war Mehmed sprach kein Wort und trieb seine blinden Ochsen tagtäglich auf die Weide; in der Frühe gingen sie weg, abends kehrten sie heim.

Eines Tages sass Mehmed am Wegrande, als der Wind durch's Laub eines grossen Baumes fuhr und die Äste desselben laut knarrten. »He, Knarr-Väterchen?« fragte der Kahle den Baum, »hast du meinen Bruder nicht gesehen?« Der[38] Baum, als ob er es gar nicht gehört hätte, knarrte weiter. Abermals fragte ihn Mehmed und der Baum antwortete wieder nicht Der Kahle ergrimmte darob, ergriff sein Beil und hieb damit auf den Baum los; aber siehe da! lauter Goldstücke fielen aus dem Baume. Der Junge nahm nun seinen wenigen Verstand in die Hand, ging nach Hause und verlangte von seinem Bruder noch einen Ochsen, damit er ein Paar ins Joch einspannen könne. Er fand auch einen Wagen und Säcke, die er mit Erde anfüllte und zum Baume fuhr. Die Erde leerte er dort aus den Säcken und füllte sie mit Gold an; als er hierauf nach Hause zurückkehrte, erschrak sein Bruder beim Anblicke der vielen Schätze.

Der Junge bekam nun wieder Lust zum Teilen, lief zu einem Nachbar um ein Mass, denn sie wollten daheim etwas abmessen. Der Nachbar war neugierig, was die Bettler doch messen würden, und schmierte den Boden des Masses mit Leim an. Als nun nach einer Weile der Kahle das Mass zurückbrachte, war ein Goldstück an den Boden angeklebt. Der Nachbar erzählte dies sogleich einem anderen Nachbarn, dieser einem dritten und in kurzer Zeit wusste das ganze Dorf von dem Golde.

Da erschrak der ältere Bruder, was nun mit ihnen und dem vielen Golde geschehen werde Sie nehmen Schaufel und Haue in die Hand, graben eine Grube, verscharren ihre Schätze und fliehen am nächsten Abend von dannen. Auf dem Wege fällt es dem Älteren ein, dass der Kahle wahrscheinlich die Haustüre nicht abgesperrt habe. Und so war es auch in der Tat. Er schickt ihn stracks zurück, damit er die Türe absperre. Der Kahle kehrt also heim, denkt sich, wenn er nun zu Hause sei, so müsse er auch nach seiner Mutter sehen. Er lässt einen Kessel voll Wasser aufsieden und brüht damit seine Mutter ab, so dass sie keinen Ton mehr von sich gab. Dann lehnt er die Alte mit einem Besen[39] an die Wand, ladet die Türe auf seine Schulter und kehrt zu seinem Bruder in den Wald zurück.

Als nun der Ältere die Türe erblickte und das Schicksal seiner armen Mutter vernahm, zürnte er vergeblich dem Kahlen, der noch etwas Rechtes vollbracht zu haben sich rühmte. Er hätte ja die Türe deshalb mit sich gebracht, damit niemand sie öffne. Der Ältere möchte sich gerne den Kahlen vom Halse schütteln, denkt nach, wie er dies anstellen solle; blickt hin und her und sieht endlich drei Reiter des Weges kommen. In der Eile denken sie beide das gleiche: vielleicht verfolgen sie jene Leute. Flugs kriechen sie mit der Türe hinauf auf den Baum und da es Abend war, so bemerkte man sie nicht. Auf dem Baume hätten sich die beiden Brüder wohl vertragen, wenn eben der eine nicht ein Narr gewesen wäre. Mehmedchen begann solche Sachen zu treiben, dass es ein besonderes Glück war, dass sie dabei nicht um's Leben kamen. Kurz, er liess vom Baume herab seinen Segen fallen und zwar gerade auf den Kopf der Reiter, die im Dunkeln es für Regen hielten. Aber er liess auch die Türe hinabfallen, so dass die Reiter mit dem Schrei: »Hier ist der Weltuntergang,« davon rannten. Der Ältere war des tollen Treibens schon überdrüssig und verliess eines Morgens seinen Bruder.

Was sollte nun Mehmed der Kahle beginnen; auch er zog also in die Welt. Er ging so lange herum, er hungerte so lange, bis er endlich ein Dorf erreichte. Er stellte sich hin vor das Tor des Dschâmi (Bethauses) und erhielt von den Leuten einige Para (Geldstücke) und etwas Speisen. Ein dünnbärtiges Männchen kam aus dem Dschâmi heraus, besah sich den Mehmed und fragte ihn dann, ob er nicht sein Diener werden wolle.

»O ja,« antwortete Mehmed, »wenn du mir versprichst, dass wir einander niemals zürnen dürfen. Wenn du mir[40] zürnst, so töte ich dich, wenn ich dir zürne, so erlaube ich dir, dass du mich tötest.« In jenem Dorfe konnte man gar schwer Diener bekommen, deshalb willigte der Dünnbart in dies Begehren ein. Damit wir also die Geschichte kurz fassen, so begann der Kahle seinen Dienst damit, dass er alle Hühner und Schafe, die sein Herr besass, tötete. »Zürnst du mir, Meister?« fragte er dann seinen Herrn. »Nein, warum sollte ich denn zürnen!« versetzte der erschreckte Herr. Er vertraute ihm aber von nun an gar nichts mehr an; mag er zu Hause ohne Arbeit sitzen.

Der Herr hatte Frau und Kinder, diese sollte Mehmed besorgen. Er sollte also die kleinen Kinder pflegen, aber es dauerte nicht gar lange Zeit, so fütterte er sie zu Tode. Die Frau erschrak, dass mit der Zeit auch sie an die Reihe komme; sie besprach sich mit ihrem Gatten und in einer Nacht verliessen sie heimlich den Narren. Aber Mehmed hatte von der Sache Wind bekommen, kroch in eine Truhe und als sie nun dieselbe in einem andern Dorfe öffneten, so kroch der Narr hervor. Abermals besprach sich der Herr mit seiner Frau, dass sie nachts am Ufer eines Sees schlafen sollten; Mehmed nehmen sie mit, machen ihm das Lager am Uferrand und wenn er einschläft, so werfen sie ihn hinein. Der Kahle hatte indessen so viel Verstand, dass er statt seiner die Frau hineinwerfen liess. »Zürnst du mir, Meister?« fragte er. »Wie sollte ich dir nicht zürnen, du Elender! mein Vermögen hast du zu Grunde gerichtet; hast meine Frau, meine Kinder getötet; hast mich zum Bettler gemacht!« rief der Herr. Der Kahle ergriff ihn, erinnert ihn an ihren Vertrag und warf ihn dann in den See hinein.

Mehmed war nun wieder allein und zog in die Welt. Er trabte einher, trank süssen Kaffee, rauchte seine Pfeife, blickte hin und her, und schritt wie ein Floh vorwärts. Auf dem[41] Wege fand er einmal ein fünf-para-stück, kaufte sich dafür Leblebi (geröstete Erbsen) und als er sie zu kauen begann, liess er eine in den Brunnen fallen. Nun fing der Kahle an zu schreien: »Ich wil meine halbe Leblebi haben, ich will meine halbe Leblebi haben!« Auf dies furchtbare Gebrüll entstieg dem Brunnen ein Araber, der zwei so grosse Lippen hatte, dass er mit der einen die Erde, mit der andern den Himmel kehrte »Was willst du?« fragte er unseren Mehmed. »Ich will meine halbe Leblebi haben, ich will meine halbe Leblebi haben!« schrie der Kahle. Der Araber stieg in den Brunnen zurück und als er wieder erschien, hielt er in der Hand ein Tischchen. Er gab es dem Kahlen und sprach: »So oft du hungrig bist, sprich: ›Tischchen deck dich!‹ wenn du dann satt bist, sprich: ›Schliess dich, mein Tischlein!‹«

Mehmed nahm also das Tischlein, ging damit ins Dorf und als er hungrig wurde, sprach er: »Deck dich, mein Tischlein!« und da hatte er so viele teure Speisen vor sich, dass er nicht recht wusste, mit welcher er beginnen solle. Na, dachte sich der Bursche, möge denn auch das Dorfvolk die Sache sich angucken, und er eilte zu den Leuten und lud sie zu sich zu Gaste. Die Dorfbewohner kamen herbei, einer nach dem andern, blickten nach rechts und nach links, aber nirgends bemerkten sie Feuer oder Speisen. Der will uns gar foppen, dachte ein Jeder, Aber der Junge holte sein Tischchen herbei und sprach: »Tischlein deck dich!« Allsogleich waren viele Speisen da; jedermann ward übersatt; selbst die Dienerschaft hatte genug davon. Die Dorfleute berieten sich, nun auf welche Weise sie jeden Tag so speisen könnten. »Nun«, meinte Einer, »wir schleichen uns eines Tages zu Mehmed und – stehlen ihm das Tischlein weg.«

Was sollte er nun mit seinem hungrigen Magen beginnen? Er eilte wieder zum Brunnen hin und begann zu schreien: »Ich will meine halbe Leblebi haben, ich will meine halbe [42] Leblebi haben!« – »Wo ist das Tischlein?« – »Man hat es mir gestohlen.« Der Araber mit den Wulstlippen stieg wieder hinab und als er dann aus dem Brunnen zurückkehrte, hatte er eine kleine Mühle in der Hand. Er gab sie dem Kahlen und sprach: »Drehst du sie nach rechts, so entfällt ihr Gold; drehst du sie nach links, so fällt aus ihr Silber.« Der Bursche trug nun seine Mühle nach Hause, drehte sie nach rechts, drehte sie nach links, und grosse Schätze entströmten der Mühle. Er ward nun ein reicher Mann, dass es weder im Dorfe, noch in der Stadt einen reicheren gab.

Irgendwie erhielten die Dorfleute Kenntnis von dieser schatzreichen Mühle und sie berieten sich so lange, bis eines Tages auch die Mühle verschwunden war. »Ich will meine halbe Leblebi haben, ich will meine halbe Leblebi haben!« schrie Mehmed abermals vor dem Brunnen. »Wo ist das Tischlein, wo ist die Mühle?« fragte der Geist »Man hat sie mir beide gestohlen!« jammerte kläglich der Kahle. Der Araber stieg wieder hinab und brachte aus dem Brunnen zwei Stöcke herauf Er gab sie dem Kahlen und trug es ihm strenge auf, dass er nicht irgendwie sage: »Schlag zu, mein Knüppel!«

Mehmed nahm also die Stöcke in die Hand, drehte sie nach rechts, drehte sie nach links, wusste aber nichts mit ihnen anzufangen. Er wollte sie doch einmal probieren und kaum sagte er: »Schlag zu, mein Knüppel!« stürzten auf ihn beide Stöcke los und prügelten ihn tüchtig durch. »Haltet ein, Knüppel!« rief er und siehe da! die Stöcke hielten mit den Prügeln ein. Selbst im grossen Schmerze freute sich Mehmed sehr, dass er nun Verwendung für seine Stöcke gefunden habe.

Er eilte nun schleunigst nach Hause und rief alle Dorfbewohner zu sich, erwähnte aber mit keiner Silbe den Grund, warum er sie einlade. Nach einigen Stunden waren alle versammelt[43] und harrten voll Neugierde der kommenden Dinge. Mehmed trat nun mit seinen beiden Stöcken herbei und rief: »Schlag zu, mein Knüppel!« Nun fielen furchtbare Hiebe, so dass die Leute kaum mehr imstande waren zu jammern. »So lange gibt's kein Ende,« tröstete sie Mehmed, »bis ihr mir nicht mein Tischlein und auch meine Mühle zurückgebet!« Alles versprachen die bluttriefenden Dorfleute, holten das Tischlein und die Mühle herbei und dann erst hiess es: »Halt ein, mein Knüppel!« worauf wieder der Frieden hergestellt wurde.

Er nahm nun alle drei Geschenke des Geistes zu sich, zog heim in sein Dorf und weil er nun Geld hatte, so war er auch klug und fand bald auch seinen Bruder, worauf sie sich zwei Jungfrauen aussuchten, heirateten und nun lustig ihre Tage verlebten. Von nun an gab es keinen klügeren Menschen im Dorfe als Mehmed.

Quelle:
Kúnos, Ignaz: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden: E.J.Brill, (1905), S. 37-44.
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