Die verjagte Sultanstochter.

[374] Es war einmal ein Padischah, der hatte eine Tochter. Da er sonst kein Kind mehr hatte, so hatte er diese Tochter überaus gerne und liess sie keinen Augenblick von seiner Seite. Als sie vierzehn-fünfzehn Jahre alt war, sprach ihr Vater eines Tages zu ihr: »Mein Kind, wünsche dir etwas von mir.« Das Mädchen erwiderte: »Mein Vater, so möge mir meine Mutter die Schüssel halten und du giesse mir das Wasser aus der Kanne, damit ich mir jeden Morgen, wenn ich aufstehe, Hände und Gesicht waschen könne.« Der Padischah geriet ob dieser Worte so sehr in Wut, dass er seinen Leuten befahl, ihr den Kopf abzuschlagen Diese nahmen das Mädchen, und da es ihnen leid tat, es zu töten, nahmen sie sie und setzten sie auf einer Bergspitze aus.

Das Mädchen schaute hin und her und ging dann auf einem Wege fort. Sie wanderte viel, sie wanderte wenig, ging über Berge, Täler und Ebenen und gelangte endlich auf einen Berg, wo sie ein auf einem Hahnenfuss sich drehendes Seraj erblickte. Sie öffnete das Tor des Seraj, trat ein und sah, dass niemand dort war. Sie ging in die Küche, da sah sie, dass dort ein Schaf aufgehängt war. Das Mädchen dachte: »In diesem Seraj muss sicherlich jemand sein, denn dieses Schaf wird doch gewiss jemand essen wollen.« Damit[375] nahm sie das Schaf, zerstückelte es, machte im Ofen Feuer an, briet hübsch das Schaf und gab es in ein Geschirr. Was im Seraj nur zu machen war, das alles verrichtete das Mädchen. Sie füllte das Mangal an und stellte es in eines der Zimmer, bereitete den Kaffeesieder vor, brachte die Speisen auf einem Tischlein herein und richtete alles her.

Dann wurde es Abend und als man das Tor des Seraj öffnete, verbarg sie sich und sah, dass eine Gestalt halb Mensch, halb Dew, eintrat. Das Mädchen fürchtete sich sehr, als sie den Dew erblickte, sprach kein Wort und beobachtete ihn nur. Der Dew ging gradaus in die Küche und sah, dass das Schaf schon gebraten und in Geschirr angerichtet war; dann begab er sich in sein Zimmer, wo er im Mangal schon Feuer sah, den Tschibuk und Kaffee schon vorbereitet fand. Alles war schon in schönster Ordnung auf seinem Platze. Als der Dew, der schon sehr alt war, all dies bemerkte, war er voll Dank und wünschte dem, der dies besorgte, wer immer es auch sei, Glück und Segen. Hierauf setzte er sich nieder, zündete seinen Tschibuk an, trank seinen Kaffee und als er darüber nachdachte, wer dies alles besorgte, sprach er: »Wer immer auch hiehergekommen sein mag, ist's ein männliches Wesen, so soll er mein Sohn sein, ist's ein weibliches Wesen, so soll sie meine Tochter sein; er möge hervorkommen, es wird ihm kein Leid geschehen.«

Als das Mädchen dies hörte, kam es zaghaft hervor und näherte sich dem Dew. Wie der Dew sie erblickte, sagte es: »O mein Kind, gesegnet sei dein Kommen; wer bist du, woher kommst du und wohin gehst du?« Das Mädchen antwortete: »Ich habe niemanden, ich bin in's Gebirg geraten, und als ich dort hin- und herirrte, wurde ich, ich weiss nicht wie, hieher verschlagen und bin hier eingetreten.« Da sprach der Dew: »Mein Kind, du bleibst meine Tochter bis an's Ende der Welt, auch ich habe Niemanden, ich bin alt; sieh' dieses [376] Seraj gehört dir, fürchte dich gar nicht, verrichte nur deine Arbeit und geh bis Abend spazieren und unterhalte dich.« Sie sassen noch eine Weile beisammen, dann legten sie sich nieder. In der Früh standen sie auf und nach dem Kaffeetrinken, Tschibukrauchen und Speisen sagte der Dew zum Mädchen: »Mein Kind, ich geh jetzt fort, hier hast du die Schlüssel, sperr' jenes Zimmer auf; dort drinnen ist ein Araber, geh und sag ihm: ›Dady, mein Oberkleid ist schmutzig geworden, gib mir reine Wäsche,‹ so wird er dir seine Wäsche geben, zieh' sie an und pflege der Ruhe. Damit ging der Dew fort«.

Das Mädchen nahm die Schlüssel und öffnete das bezeichnete Zimmer und als sie Dady rief, erschien ein Araber vor ihr. Kaum äusserte sie den Wunsch, dass er ihr Weisswäsche bringe, da sie frische Kleider anziehen wolle, brachte der Araber schon ein Bündel Weisswäsche und das Mädchen kleidete sich hübsch um. Dann sagte der Araber: »Liebes Fräulein, wenn du dich langweilen solltest, so mache im Garten einen Spaziergang.« Das Mädchen ging in den Garten hinab und als es zum Becken hintrat, da sah es eine Ente, deren Flügel und Kopf aus Diamanten waren, im Wasser herumschwimmen. Als die Ente das Mädchen erblickte, schrie sie: »O, du Unverschämte, bist du hergekommen, um mir meinen Schehzade wegzunehmen!« Wie sie so schrie, brach ihr ein Flügel ab. In ihrer Furcht sprach das Mädchen: »O weh, warum bin ich nur hieher gekommen, wenn der Dew-Vater dies erfährt, so bringt er mich um.« Damit eilte sie in das Seraj zurück.

Abends kam der Dew nach Hause, sie assen und tranken wieder; das Mädchen bemerkte, dass der Dew die Geschichte mit der Ente nicht erfahren, dann begaben sie sich wieder zu Bette. In der Früh sprach der Dew zum Mädchen: »Mein Kind, geh und lass dir heute wieder vom Dady frische[377] Wäsche geben.« Als der Dew weggegangen, ging das Mädchen zum Dady und liess sich andere Kleider geben. Der Araber schickte sie abermals in den Garten hinab. Sie ging wieder zum Becken und als die Ente das Mädchen erblickte, schrie sie sie abermals an: »Hast dich heraus geputzt, um mir meinen Schehzade wegzunehmen?« und wie sie so schrie und schnatterte, brach ihr auch der andere Flügel ab. Aus Furcht vor dem Dew-Vater, lief das Mädchen in den Seraj zurück. Als es Abend wurde, kam der Dew, sie speisten und tranken zusammen; das Mädchen sah, dass der Dew wieder nichts wegen der Ente sagte, weshalb sie auch in jener Nacht ruhig schlief. Morgens ging der Dew wieder fort, das Mädchen wechselte wieder die Kleider und ging in den Garten. Sie ging zum Becken und als sie die Ente erblickte, fing diese so zu kreischen an, dass ihr auch der Kopf abbrach. Das Mädchen kam dann jeden Tag in den Garten herab und der Ente brach jedesmal ein anderer Teil ab, bis sie starb.

Diese Ente war die Tochter des Dew. Der Sohn eines Padischah war in sie verliebt, der in einen dem Garten gegenüberliegenden Kiosk kam und von dort die Tochter des Dew betrachtete. Sie verwandelte sich in eine Ente, schwamm im Becken herum und zeigte sich nicht dem Jüngling. Der Jüngling hatte alles mit angesehen, wie jenes andere Mädchen jeden Tag in den Garten kam und hatte gehört, was die Ente zu ihr gesprochen. Als er den Tod der Ente gesehen und wahrnahm, dass jenes Mädchen schöner war als die zur Ente gewordene Tochter des Dew, so verliebte er sich von ganzem Herzen in sie. Das Mädchen, welches nicht wusste, wer die Ente war, hielt sie in der Tat für die Ente des Dew-Vaters und war in grosser Furcht darüber, dass der Dew-Vater sie töten wird, wenn er die Sache erfahren würde. Als sie aber sah, dass der Dew wegen der Ente nichts sagte, so tröstete sie sich. Allein jeden Morgen, wenn der Dew sich[378] entfernte, war sie besorgt, dass er die Sache erfahren könnte und sie dann töten würde.

Unterdessen ging der Schehzade zu seinem Vater und sprach zu ihm: »Mein Schah und Vater, dort und dort wohnt ein Dew, der hat eine schöne Tochter, in die ich mich verliebt habe. Verlang sie mir zum Weibe, sonst bringe ich mich um.« Der Padischah schrieb hierauf dem Dew einen Brief und schickte ihn ihm durch einen seiner Leute. Als dieser mit dem Brief in das Seraj des Dew ankam, überreichte man ihm den Brief, den er las und daraus ersah, dass ein Padischah um die Hand seiner Tochter anhalte. Der Dew sagte dem Manne, der ihm den Brief des Padischah überbrachte, folgendes: »Sag' dem Padischah, dass ich ihm recht gerne meine Tochter gebe, allein ich bin sehr arm und mehr darf er von mir nicht verlangen, als meine Tochter; wenn er darauf eingeht, so möge er die nächste Woche kommen und wir wollen die Verlobung feiern. Zur Verlobung möge er aber nicht mehr, als tausend Leute mit sich bringen, da ich sehr arm bin und keine grossen Festlichkeiten machen kann.« Der Mann ging zurück und übergab dem Padischah die Botschaft des Dew, welche jener annahm und auf den Tag der Verlobung wartete.

Am Morgen jenes Tages gab der Dew dem Mädchen viele Schlüssel und sprach zu ihr: »Mein Kind, nimm diese Schlüssel, sperr' jenes und jenes Zimmer auf, klatsch' in die Hände, worauf viele Sklaven erscheinen werden. Fürchte dich aber nicht vor ihnen.« Das Mädchen nahm die Schlüssel und trat in das bezeichnete Zimmer ein. Als sie in die Hände klatschte, da sah sie ein ganzes Heer von Sklaven, weisse und schwarze Männer und Frauen, ihr entgegen kommen und indem diese den Saum ihres Kleides küssten, schritten sie an ihr vorüber und gingen auf den Dew zu. Der Dew teilte jedem seinem Arbeit zu, worauf sie alles vorbereiteten. Dann öffnete[379] ich das Tor des Seraj und der Padischah mit seinen tausend Männern hielt seinen Einzug, um die Verlobung zu feiern. Sie wurden empfangen, die Verlobung wurde abgehalten, es wurde gespeist und Scherbet getrunken, worauf sie sich zur Rückkehr anschickten. Da sprach der Dew zum Padischah: »O, mein Padischah, an jenem und jenem Tage kommet um die Braut, aber schickt nicht mehr als fünfhundert Wagen um die Ausstattung wegzuführen, denn ich habe keine Zeit, mehr zu geben.« Dann liess er den zu Gaste gekommenen tausend Männern je ein prächtiges Kleid überreichen.

Sie verliessen das Seraj und nach einer Woche schickte der Padischah die fünfhundert Wagen um die Ausstattung, seine eigenen Kutsche aber, um darin die Braut abzuholen. Der Dew liess die Ausstattung auf die Wagen laden und da ihm der abgeschickte Brautwagen nicht gefiel, so befahl er seinen Dienern, seinen kleinsten Wagen herzubringen, damit sich seine Tochter hineinsetze. Damit holten sie seinen kleinsten Wagen hervor, dergleichen man, nicht nur im Seraj des Padischah, sondern in der ganzen Welt nicht sehen konnte. Das Mädchen setzte sich hinein, und sie und die fünfhundert Wagen nach ihr, zogen geradeaus in den Seraj des Padischah, wo man vierzig Tage und vierzig Nächte Hochzeit hielt, am einundvierzigsten aber wurden sie getraut.

Zeit kam, Zeit verging, der Schehzade verlebte glückliche Tage mit seiner Frau. Eines Tages ging er auf die Reise. Unterdessen wurde seine Frau schwanger und als die Zeit um war, überkamen sie die Geburtswehen. Man schickte um die Hebamme, bereitete alles vor, allein die Frau war durchaus nicht im Stande zu gebären. Drei Tage und drei Nächte erlitt sie Schmerzen, bis man dann ihren Dew-Vater davon benachrichtigte. Der Dew eilte zu seiner Tochter, trat zu ihr hin und sprach: »Mein Kind, fasse meinen Arm an!«[380] Wie das Mädchen den Arm anpackte, brach dieser ab und als man darob rings umher zu schreien anfing: »O weh, dem Väterchen ist der Arm abgerissen,« sagte der Dew: »Tut nichts, meine Kinder, lehnt ihn nur dort, in die Ecke hin.« Die Diener nahmen den Arm und kaum hatten sie ihn in die Ecke gestellt, so wurde er zu einem Diamantenbaum. Hierauf liess er seinen andern Arm von seiner Tochter anpacken, und als diese in ihrem Schmerze aufschrie, riss auch dieser Arm ab. Er liess ihn in die andere Ecke stellen und auch dieser verwandelte sich in einen Diamantenbaum.

Hierauf sprach der Dew wieder: »Mein Kind, pack' nur diesen meinen Fuss an,« und siehe da, auch dieser riss ab. Er liess ihn in eine Ecke stellen, worauf ein goldener Schemel daraus wurde. Dann liess er auch den andern Fuss anfassen und wie auch dieser abriss und in die Ecke gestellt wurde, wurde auch dieser zu einem goldenen Schemel. »Mein Kind, nun fasse meinen Kopf an,« sagte der Dew. Das Mädchen fasste den Kopf an und als sie in ihren Geburtswehen aufschrie, kam das Kind zur Welt, allein der Kopf des Dew war abgerissen. »O weh Väterchen, dein Kopf ist abgerissen,« schrie seine Tochter. Der Dew sprach: »Mein Kind, wirf ihn in die Mitte des Zimmers.« Als seine Tochter seinen Kopf hinwarf, erhob sich an dessen Stelle ein solch prachtvolles Bett, das ohnegleichen in der Welt dastand. Als dann der Rumpf des Dew zur Erde fiel, wurde daraus ein Teppich. Man legte das Mädchen in das Bett und nach ein-zwei Tagen verbreitete sich die Kunde, auf welche Weise die Frau des Schehzade geboren hatte. Alles ging hin, das Wunder anzusehen.

Auch der Vater und die Mutter des Mädchens hörten davon und ohne zu wissen, dass dies ihre Tochter wäre, machten sie sich auf den Weg, um ebenfalls das Wunder anzuschauen. Nach einigen Tagen kommen sie im Seraj an. Ihre Tochter[381] speiste gerade mit dem Schehzade in ihrem Zimmer, und wie die Eltern hereintraten, erkannte die Tochter ihre Eltern, diese aber erkannten jene nicht. Allein dem alten Padischah gefiel sogleich die junge Frau so sehr, dass sein Auge an ihr haften blieb und er sie immerfort anschaute. Um sie herum standen in der Reihe Sklaven.

Der Alte sprach also zu seiner Frau: »Sultana, gehen wir näher zu diesen Sklaven,« und indem er das Handtuch und die Kanne nahm, »nimm du das Handtuch, ich will aus der Kanne Wasser giessen, damit wir jenes Paar um so besser betrachten können.« Damit nahm die Mutter des Mädchens das Handtuch in die Hand, der Vater hielt die Kanne und nachdem die jungen Leute gespeist hatten, brachte man die Schüssel und die Kanne, worauf sich dann zuerst das Mädchen und dann der Jüngling die Hände wusch. Nun sprach die Tochter zu ihren Eltern: »O Väterchen, als du mich gefragt hattest, was ich mir von dir wünsche und ich dir antwortete, dass meine Mutter mir die Schüssel halte und du mir aus der Kanne Wasser giessest, da zürntest du mir und jagtest mich aus deinem Hause. Nun sieh, welchen Weg du zurücklegen musstest, um hieher zu kommen um auf meine Hände Wasser giessen zu können. Daraus könnt ihr ersehen, dass mein damaliger Wunsch nicht von mir selbst herrührte und dass du mich mit Unrecht vertrieben hattest.«

Der Padischah sprach: »O meine Tochter, ich habe gefehlt, Allah möge mir meine Sünden verzeihen, verzeih auch du mir. Was du dir gewünscht, ist nun in Erfüllung gegangen.« Hierauf hielten sie wieder vierzig Tage und vierzig Nächte lang Festlichkeiten und lebten bis zu ihrem Tode glücklich.

Quelle:
Kúnos, Ignaz: Türkische Volksmärchen aus Stambul. Leiden: E.J.Brill, (1905), S. 374-382.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon