[13] 5. Balu und die Dens

Der Mond Balu sah eines Abends auf die Erde hinab; sein Licht leuchtete sehr hell, weil er wissen wollte, ob dort unten noch irgend jemand auf war. Denn wenn die Menschen alle schliefen, pflegte er mit seinen drei Hunden zu spielen. Er nannte sie Hunde, die Menschen nannten sie Schlangen, und sie hießen Giftviper, Schwarze Schlange und Tigernatter. Als Balu mit den drei Hunden auf die Erde hinabschaute, erblickte er zwölf Dens oder Eingeborene, die durch einen Fluß wateten. Er rief sie an und sagte zu ihnen: »Heda, tragt mir einmal meine Hunde über den Fluß!« Obschon die Schwarzen Balu sehr gern leiden mochten, schätzten sie seine Hunde doch nicht; denn schon mehrmals, wenn er die Tiere zum Spielen auf die Erde geschickt hatte, bissen sie nicht nur die irdischen Hunde, sondern auch ihre Herren; und durch das Gift waren die Gebissenen getötet worden. Daher antworteten die schwarzen Burschen: »Nein, Balu, wir sind bange; deine Hunde beißen uns, sie sind nicht wie unsere Hunde, deren Biß nicht tötet.«

Balu sagte: »Wenn ihr tut, was ich euch sage, so sollt ihr wieder lebendig werden, falls ihr sterbet. Seht her und achtet auf das Stück Rinde, das ich ins Wasser werfe.« Und dabei warf er ein Stückchen Baumrinde in den Fluß. »Seht, es kommt wieder nach oben und schwimmt weiter. So wird es euch auch ergehen, wenn ihr meinen Befehlen folgt; zuerst geht ihr unter, wenn ihr sterbet, aber dann kommt ihr sofort wieder an die Oberfläche. Wollt ihr dummen Kerle meine Hunde aber nicht hinübertragen, so [13] ergeht es euch wie diesem Stein,« und er schleuderte in den Fluß einen Stein, der sogleich unterging, »dann steht ihr niemals wieder auf, ihr törichten Burschen!«

Die Schwarzen entgegneten jedoch: »Balu, wir können es nicht tun, wir haben zu große Angst vor deinen Hunden.« »So will ich herunterkommen und sie selbst über den Fluß tragen und euch zeigen, daß es harmlose, liebe Geschöpfe sind.« Und er stieg vom Himmel herab; die Schwarze Schlange hatte er um den einen, die Tigernatter um den anderen Arm gewunden, und die Giftviper hing ihm über Schulter und Nacken herab. So trug er sie über den Fluß. Als er auf der anderen Seite angekommen war, hob er einen großen Stein auf und warf ihn ins Wasser. Er sagte: »Weil ihr feigen Burschen nicht tun wolltet, um was ich, Balu, euch bat, so habt ihr in Ewigkeit verscherzt, nach dem Tode wieder lebendig zu werden. Ihr werdet bleiben, wo man euch eingräbt; wie der vorhin ins Wasser geworfene Stein werdet ihr dann ebenso zu einem Stückchen Erde. Hättet ihr getan, was ich euch befahl, so könntet ihr ebenso oft sterben wie ich, und immer wieder wie ich lebendig werden. Jetzt werdet ihr aber solange ihr lebt schwarze Burschen bleiben, und Knochen, wenn ihr gestorben seid!«

Balu sah sehr böse aus, und die drei Schlangen zischten so fürchterlich, daß die Schwarzen froh waren, als sie hinter den Büschen ihren Blicken entschwanden. Sie hatten sich stets vor Balus Hunden gefürchtet; nun haßten sie die Tiere und sagten: »Könnten wir sie doch nur von Balu fortlocken, dann wollten wir sie schon totschlagen.« Und fortan erschlugen sie jede Schlange, die ihnen in den Weg kam. Aber Balu sandte immer wieder neue und sagte: »Solange noch Dens leben, soll es Schlangen geben; die sollen sie daran erinnern, daß sie einst nicht tun wollten, um was ich sie bat.«

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 13-14.
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