6. Klugheit siegt

[39] Der Zwerghirsch P'lando besuchte den ›wilden Bullen von der Lichtung‹ und sagte zu ihm: »›Der Bulle aus dem neuen Gehölz‹ ist außerordentlich schlecht auf dich zu sprechen, [39] und wenn er von dir redet, gebraucht er höchst unsaubere und gemeine Ausdrücke.« Dann begab er sich zum ›Bullen aus dem neuen Gehölz‹ und erzählte dem: »Der ›wilde Bulle von der Lichtung‹ spricht in sehr beleidigenden Ausdrücken von dir.« Er wollte sie gar zu gern zu einer Prügelei verhetzen.

Am nächsten Tage machten die beiden sich auf und trafen sich an der Grenze der Lichtung und des neuen Gehölzes. Und als sie aufeinander losgingen, wurde der ›Bulle aus dem neuen Gehölz‹ von dem ›Bullen der Lichtung‹ erschlagen; der Zwerghirsch hatte sich indessen auf einen Ameisenhügel gesetzt, um dem Kampfe zuzuschauen und die Gegner gegeneinander zu hetzen.

Während des Kampfes bohrten die weißen Ameisen Gänge und Löcher in den Rücken des Zwerghirsches, der auf dem Hügel saß und nun nicht wieder aufstehen konnte. Er bat deshalb den Überlebenden: »Freund Bulle, du bist ja so stark, tu mir die Liebe und zertrample diesen Ameisenhügel.« Der ›Bulle der Lichtung‹ zerschmetterte den Hügel mit den Hörnern und trabte dann eilends davon, um den Ameisen zu entgehen. Der Zwerghirsch war befreit und durchschnitt jetzt dem ›Bullen des neuen Gehölzes‹ die Kehle, so wie Muhamed es will, und zog dem Leichnam die Haut ab.

Da erschien Rimau, der Tiger, und sprach: »Wollen wir das Fleisch teilen?« Der Zwerghirsch antwortete: »Natürlich, sehr gern!« Als sie mit dem Abziehen der Haut fertig waren, begann es zu regnen; der Zwerghirsch bat den Tiger, ihm etliche kräftige Zweige zu schneiden, um einen Schutz gegen den Regen zu haben. Der Tiger tat es und nahm sie auf die Schulter, um sie fortzutragen; da das Flußufer aber schlüpfrig und seine Schulter über und über mit Blut beschmiert war, hatte er große Mühe, hochzukommen.

In dem Augenblicke wurde er des Zwerghirsches ansichtig; er fragte ihn: »Aber um Himmelswillen, Freund Zwerghirsch, warum schüttelst du dich so?« Der Zwerghirsch antwortete barsch und grob: »Ich bebe vor Erwartung!« Da meinte der Tiger, der Zwerghirsch habe es auf ihn selbst abgesehen, er[40] wurde so kleinmütig, daß er schleunigst in den Fluß sprang und das Fleisch dem Zwerghirsch überließ.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 39-41.
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