7. Der Elefant wettet mit dem Tiger

[41] In längst vergangenen Tagen waren Gajah, der Elefant, und Rimau, der Tiger, die besten Freunde. Eines Tages kamen sie auf eine Lichtung und trafen dort Lotong, den langgeschwänzten Brillenaffen. Als der Elefant den Affen erblickte, sagte er: »Herr Lotong lärmt einmal wieder ganz ungebührlich; wir wollen ihn vom Baum jagen; fällt er auf meinen Anruf, dann darf ich dich fressen; fällt er bei deinem, dann darfst du mich fressen – nun, wollen wir wetten?« Der Tiger fragte: »Einverstanden?« Der Elefant antwortete: »Einverstanden!« – »Schön,« sagte der Tiger, »dann probier du es zuerst und drohe ihm.« Da bedrohte der Elefant den Affen. »Au! Au! Au!« trompetete er, und allemal, wenn er trompetete, bekam der Affe es mit der Angst. Kopf voraus sprang er von einem Ast zum andern, doch fiel er kein einziges Mal zu Boden.

Schließlich fragte der Tiger den Elefanten: »Nun, Vetter Elefant, willst du dein Glück nochmals versuchen?« Doch der Elefant erwiderte: »Nein, danke schön. Du kannst es einmal versuchen; und wenn er herunterfällt, sollst du mich fressen – vorausgesetzt, daß er wirklich herunterfällt!« Nun ging der Tiger los, er brüllte so laut er nur konnte, duckte sich zu Boden, setzte zum Sprung an und bedrohte so den Affen dreimal. Und der Affe ließ los; er fiel dem Tiger vor die Füße, denn Arme und Beine waren ihm dermaßen vor Schrecken gelähmt, daß er keinen Zweig mehr festhalten konnte. Da sagte der Tiger: »Nun, Freund Elefant, ich glaube, ich darf dich jetzt fressen.« Der Elefant erwiderte: »Ja, die Wette hast du gewonnen; doch bitte ich dich, mir sieben Tage Aufschub zu gewähren, ich möchte meine Frau und meine Kinder noch einmal sehen und auch mein Testament machen.« Der Tiger gewährte die Bitte; brummend und bei jedem Schritte seufzend trabte der Elefant nach Hause.

[41] Als die Frau des Elefanten das Schnaufen ihres Mannes vernahm, sagte sie zu den Kindern: »Was mag denn dem Vater zugestoßen sein, er seufzt ja entsetzlich!« Die Kinder spitzten die Ohren und meinten: »Ja, das ist Vaters Stimme, er seufzt, es kann niemand anders sein.« Vater Elefant kam herein, und Mutter Elefant fragte: »Vater, weshalb seufzst du denn so? Was hast du dir getan?« Vater Elefant antwortete: »Ich habe mit Freund Tiger eine dumme Wette gemacht, wer nämlich von uns beiden einen Affen vom Baum herunterschütteln könnte; Freund Tiger hat gewonnen; ich drohte dem Affen, doch fiel er nicht herunter; wenn er herabgefallen wäre, hätte ich den Tiger fressen dürfen, aber wenn der Tiger ihn herunterkriegte, durfte er mich fressen. Ich habe verloren, und Freund Tiger will mich nun fressen. Aber ich bat ihn, daß er mich noch einmal nach Hause entließ, um von euch Abschied zu nehmen, und so habe ich sieben Tage Aufschub bekommen.« Sieben Tage lang seufzte Vater Elefant in einem fort, er aß nicht, er schlief nicht. Freund Zwerghirsch hörte von der Geschichte. »Was mag nur mit Freund Elefant los sein, der schnaubt und trompetet in einem fort, er schläft auch nicht, und macht so die Nacht zum Tage und den Tag zur Nacht. Was mag ihm nur zugestoßen sein? Ich werde ihn einmal aufsuchen,« sagte der Zwerghirsch. Darauf zog der Zwerghirsch los, um nach dem Rechten zu sehen; und er fragte: »Freund Elefant, was fehlt dir nur? Jeden Tag und jede Nacht hört man dich trompeten, gerade als ob die Welt untergehen sollte. Weshalb machst du solchen Lärm?«

Der Elefant erwiderte: »Freund Zwerghirsch, ich habe alle Ursache dazu, ich bin in eine fürchterliche Klemme geraten.« – »In welche Klemme?« fragte der Zwerghirsch. »Ich wettete mit dem Tiger, wer von uns beiden einen Affen vom Baum schütteln könnte, und er hat gewonnen.« – »Um was habt ihr gewettet?« fragte der Zwerghirsch weiter. »Wir wetteten, wenn Freund Tiger den Affen vom Baum bekäme, dann dürfte er mich fressen, und falls ich ihn herabjagte, sollte ich Freund Tiger fressen. Freund Tiger kriegte ihn herunter, und [42] nun will er mich fressen. Deshalb mag ich nicht essen, kann nicht schlafen und habe nur noch diese sieben Tage Frist, um meine Frau und Kinder zu besuchen und mein Testament zu machen.« Da sprach der Zwerghirsch: »Wenn Freund Tiger dich gefressen hätte, wäre ich sehr betrübt, wäre ich ganz außerordentlich bekümmert gewesen; aber wie die Dinge nun liegen, bin ich weder eins noch das andere.« – »Willst du mir beistehen, will ich dein Diener sein und meine Nachkommen sollen deine Diener sein.« – »Schön, dann will ich dir helfen,« sagte der Zwerghirsch: »Geh' und schau dich nach einem Krug Palmsyrup um.« Freund Elefant versprach es und trottete zum Hause eines Palmweinmachers. Der lief eilends fort, als er den Elefanten kommen sah; so kam der Elefant in den Besitz eines Kruges Palmsyrups und brachte ihn dem Zwerghirsch.

Freund Zwerghirsch sagte: »Wann läuft die Galgenfrist ab?« Freund Elefant antwortete: »Morgen.« Als sie am nächsten Morgen losgingen, sprach der Zwerghirsch: »Gieß' dir den Syrup über den Rücken und laß ihn über die Flanken und Beine herablaufen.« Freund Elefant gehorchte. Freund Zwerghirsch unterwies nun den Elefanten: »Wenn ich den Syrup auflecke, dann trompete so laut du kannst, damit die Leute denken, ich hätte dich furchtbar verletzt, auch winde und wende dich hin und her.«

Freund Zwerghirsch begann darauf tüchtig zu lecken; Freund Elefant wand und wendete sich hin und her, so daß alle glaubten, man täte ihm furchtbar weh, und dabei trompetete er ganz fürchterlich. So zogen sie weiter; Freund Zwerghirsch stieg auf und setzte sich auf's Hinterteil des Elefanten. Und der Elefant trompetete und trompetete, bis sie endlich dem Tiger begegneten. Da rief der Zwerghirsch: »Ach, mit so einem Elefanten wird man schnell fertig; wenn ich bloß diesen dicken, fetten, alten Tiger zu fassen kriegen könnte, dann würde ich eben, eben noch satt.«

Als Freund Tiger diese Worte vernahm, dachte er bei sich: »Ich glaube, wenn der mich fängt, frißt er mich obendrein [43] auch noch auf.« Freund Tiger blieb daher keinen Augenblick mehr stehen, sondern sprang in großen Sprüngen davon, um sich in Sicherheit zu bringen.

Er traf den schwarzen Affen. Freund Affe fragte: »Freund Tiger, weshalb rennst du denn so? Warum all' dieser Lärm? Stürzt der Himmel ein? Weshalb diese großen Sprünge?« Freund Tiger antwortete: »Was heißt ›all' dieser Lärm‹? Was für ein Kerl hockt da auf dem Rücken von Freund Elefant, hat Freund Elefant gefangen und schlingt große Stücke von ihm hinein, so daß der arme Kerl sich vor Schmerzen nicht zu lassen weiß und das Blut in Strömen von ihm herabrinnt? Außerdem sagt der Kerl, der da auf dem Rücken von Freund Elefant sitzt – ich habe es selbst gehört –, daß er mit einem einzelnen Elefanten schnell fertig würde, er möchte sich noch gern einen dicken, fetten, alten Tiger fangen, dann wäre sein Hunger knapp gestillt.« Freund Affe sagte: »Freund Tiger, was für ein Kerl war es denn?« – »Das weiß ich nicht,« antwortete der Tiger. »Aha,« schmunzelte der Affe, »es soll mich gar nicht weiter wundern, wenn es nicht Freund Zwerghirsch gewesen ist!« – »Nein, ganz gewiß nicht!« sagte der Tiger, »um alles in der Welt wäre es doch nicht möglich, daß Freund Zwerghirsch mich verschlingen könnte. Außerdem frißt er ja gar kein Fleisch. Komm, wir wollen zurückgehen.« Nun suchten sie den Elefant. Zuerst ging der Affe voran, darauf der Tiger, und zum Schlusse war der Affe wieder voraus. Als der Zwerghirsch, der noch immer auf dem Rücken des Elefanten saß, die beiden kommen sah, rief er: »Halloh, Vetter Affe, du bist mir ein netter Kunde; erst versprichst du mir, zwei Tiger zu bringen, und nun kommst du bloß mit einem? Den nehme ich nicht, Vetter Affe.«

Als Freund Tiger dies hörte, lief er so schnell wie er konnte davon; dann verlangsamte er seine Schritte und sagte: »Freund Affe, das war gemein von dir, mich in eine solche Falle zu locken, nur damit du deine Versprechungen einlösen kannst. Schäme dich, Vetter Affe! Es ist ja noch ein Glück für mich, daß er mich nicht haben will; hätte er mich genommen, [44] wäre ich tot und alles mit mir vorbei. Aber warte nur, kommst du mir noch einmal in den Weg, dann sollst du sterben, weil du mich in den Hinterhalt locken wolltest.« So entstand die Feindschaft zwischen Tiger und Affen, die bis auf den heutigen Tag andauert, denn der Tiger kann es dem Affen nicht vergessen, daß er ihn überlisten wollte. Und damit ist die Geschichte aus.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 41-45.
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