21. Der Dumme

[254] Der Dumme wohnte bei seinen Eltern. Seine Mutter riet ihm, sich eine Frau zu nehmen, und gehorsam ging er auch auf die Suche. Er sollte sich, sagte seine Mutter, ein stilles Mädchen suchen, nicht eins, dessen Mund den ganzen Tag über nicht stillstünde, wie es doch bei den meisten Toradjamädels der Fall ist. Wenn der Dumme einem Mädchen begegnete, fragte er es höflich, doch erhielt er derartig beredte Antworten, daß er eilends das Land verließ, wo die Mädchen so schnell mit dem Mundwerk bei der Hand waren. Eines Tages gelangte er an ein Haus, wo gerade ein junges Mädchen gestorben war, und man die Totenwache hielt. Der Dumme setzte sich daneben, sprach es an, doch es schwieg. Also mußte es nach dem Rat seiner Mutter eine gute Frau für ihn sein. Er wartete nun, bis die wachenden Familienmitglieder eingeschlafen waren, dann hob er den Leichnam auf und trug seine schweigende Braut nach Haus. Er legte sie im Schlafgemach seiner Eltern nieder und bat darauf seine Mutter, etwas recht Schönes zu kochen; er hätte nun eine stille, zurückgezogen lebende Frau gefunden, sie wäre noch ein wenig verlegen und so wollte er zunächst mit ihr allein essen. Er steckte ihr den Reis in den offenstehenden Mund und wunderte sich, daß sie nicht zubiß. Inzwischen hatte sich der Leichengeruch schnell im Hause verbreitet, so daß die Eltern herbeieilten, um sich die neue Schwiegertochter anzuschauen. Als sie merkten, daß ihr dummer Sohn eine Leiche mitgebracht hatte, befahlen sie ihm mit kräftigen Worten, sie sofort zu begraben. Das tat der Dumme und kam zu dem Schluß: Wenn jemand stinkt, ist er tot.

Nach einer kleinen Weile ließ der Vater einen Wind streichen. »So,« sagte der Dumme, »nun bist du gestorben.« – »Aber, nein, Junge, ich ließ doch nur einen Wind.« – [254] »Nein, Vater, das weiß ich besser, ich werde dich begraben.« Alles Sträuben half nichts, der Dumme hob seinen Vater hoch, trug ihn hinaus und begrub ihn. Wiederum nach einer Weile ließ die Mutter einen Wind streichen; der Dumme trug sie ebenfalls hinaus und begrub sie. So wohnte er denn etliche Tage allein im Hause, bis auch ihm plötzlich ein Wind entfuhr. Er erklärte sich nun für tot, hob sein eigenes Grab aus und begrub sich bis an den Hals. Als es Abend geworden war, kamen ein paar Diebe vorüber, die wollten in einem Hause stehlen. Der Dumme rief sie an, sie erkannten ihn, gruben ihn aus, und er folgte ihnen. Schnell erreichten sie zwei Häuser. »Geh', Dummer, in das eine Haus, such' dir etwas, das recht schwer ist und lauf' damit weg, nimm nur keine leichten Sachen.« »Schön,« antwortete der Dumme, stieg die Treppe hinauf, ging in das Haus hinein und suchte darin herum; er hob alles auf, was er fand, aber er fand nichts, was schwer genug gewesen wäre. Schließlich gelangte er an den Herd und versuchte, den hölzernen Rand davon hoch zu heben, das gelang ihm aber nicht, denn er saß gehörig fest. Doch der Dumme meinte, solch' schweres Ding wäre gerade das rechte, das er haben müßte; dabei machte er so viel Lärm, daß die Hausbewohner erwachten, ihn griffen und am andern Tag totschlugen, da er nicht zur Familie gehörte. So wurde er dafür bestraft, daß er seine Eltern getötet hatte, und es war doch nicht umsonst gewesen, daß er sich sein eigenes Grab gegraben hatte.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 254-255.
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