Das Seeweibchen.

[146] Unweit Nepomuk befindet sich ein kleiner See, der mit Erlengebüschen bewachsen ist und von einem Wasserfräulein bewohnt ist. Ein Bauernbursche gieng in einer mondhellen Nacht am See vorüber und sah das Weibchen, wie es auf zwei Schwänen saß mit einem sehr langen Schilfrohr in der Hand, langen herabfallenden Haaren mit weißem Kleide und einem Blumenkranz auf dem Haupte. So schwamm es nahe am Ufer. Als es den Burschen erblickte, brach es einen Erlenzweig und warf ihn ans Ufer. Der Bursche staunte über die schöne[146] Gestalt, nahm den Zweig und eilte nach Hause, ohne irgend jemand etwas davon zu sagen. Am andern Morgen fand er, daß der Erlenzweig von besonderer Schönheit war und wie Silber glänzte. Um seine Verlobte endlich als Braut heimzuführen, verkaufte er den Zweig. Am Hochzeitstage aber trat das weißgekleidete Weibchen mit einem zwergartigen Knappen zur Thür herein, schritt feierlich auf die Braut zu, nahm eine Perlenschnur vom Halse und hängte sie der Braut um. Dann entfernte sich das Weibchen wieder, die Perlen und die Wasserspuren ihres Kleides zurücklassend. Da nun unter dem Bauernvolke der Glaube herrscht, daß Perlen Thränen bedeuten, so wurden die Perlen sogleich dem Muttergottesbilde der Kapelle am See geopfert. (Vernaleken, S. 196.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 146-147.
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