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[215] Drei Brüder aus gutem Hause hatten sich lange in Paris aufgehalten, aber sie hatten ihre ganze Zeit damit vergeudet, herumzuflanieren, zu spielen und Mutwillen zu treiben. Es ereignete sich, daß ihr Vater sie alle drei beauftragte, schleunigst heimzukehren. Darüber waren sie sehr bestürzt, denn sie konnten noch kein einziges Wort Latein. Sie beschlossen also, jeder solle einen Satz für seinen Bedarf erlernen. Der Älteste lernte also: Nos tres clerici1; der zweite nahm seinen Stoff aus der Finanzwissenschaft und lernte: pro bursa et pecunia2; der dritte ging an einer Kirche vorüber und behielt diese Worte aus der großen Messe im Gedächtnis: dignum et justum est3. Solchermaßen versorgt verließen sie Paris, um ihren Vater aufzusuchen. Sie machten untereinander aus, daß sie überall und jedem gegenüber nichts anderes reden wollten als ihr Latein; dadurch wollten sie nämlich als die gelehrtesten Leute des ganzen Landes erscheinen.
Als sie aber durch einen Wald gingen, traf es sich, daß gerade die Räuber einem Manne die Gurgel abgeschnitten hatten; die ausgeplünderte Leiche hatten sie liegen lassen. Der Profoß war mit seinen Leuten dort und fand die drei Gesellen nicht weit von der Stelle, wo der Mord verübt war[215] und wo der tote Körper lag. »Kommt her!« sagte er zu ihnen, »wer hat diesen Mann erschlagen?« Sogleich antwortete der älteste, dem die Ehre zukam, zuerst zu reden: »Nos tres clerici.« »Oho!« sagte der Profoß, »und warum habt ihr das getan?« »Pro bursa et pecunia,« erwiderte der zweite. »Gut,« sagte der Profoß, »dafür werdet ihr gehängt werden!« »Dignum et justum est,« fügte der dritte hinzu. So wären denn diese armen Leute fast auf Kredit gehängt worden, wenn sie nicht, nachdem sie sahen, daß es Ernst wurde, das Latein ihrer Mutter zu sprechen angefangen hätten und gesagt hätten, wer sie wären. Der Profoß, welcher sah, daß sie jung und wenig gewitzt waren, erkannte wohl, daß sie es nicht gewesen wären. Er ließ sie laufen und begab sich auf die Verfolgung der Räuber, welche den Mord begangen hatten. »Aber hat er sie gefunden?« »Was weiß ich, lieber Freund, ich war nicht dabei!«