Vorwort zur dritten Auflage.

[7] Die neue Ausgabe der Märchen unseres Vaters unterscheidet sich inhaltlich nicht von der 1870 bei Amthor erschienenen, zweiten Auflage, doch ist sie mit Bildern ausgestattet, die ein Tiroler Künstler, der Land und Leute kennt, geliefert hat. Es ist mit dieser Zugabe einem von verschiedenen Seiten geäußerten Wunsche Rechnung getragen worden. Die Jugend, die einen guten Teil der Leser bildet, ist jetzt anspruchsvoller als in früheren Zeiten, wo sie mit der Erzählung zufrieden war und die kindliche Phantasie selbst die Bilder dazu schuf.

Möge das Buch im neuen Gewande bei jung und alt wieder jene freundliche Aufnahme finden, die ihm schon bei seinem ersten Erscheinen zuteil geworden ist. Auch die Altmeister Jakob und Wilhelm Grimm begrüßten damals die ebenfalls von zwei Brüdern gesammelten Tiroler Märchen mit großer Freude und letzterer ließ sie, wie dessen Sohn Professor Hermann Grimm unserem Vater berichtete, mit dem schönen Einbande seiner Lieblingswerke versehen.

Während die Forscher unablässig bemüht sind, die Schätze der Volkspoesie zu heben und zu sichern, macht sich im Volke, das sie benützt und das sie hüten soll, bedauerlicherweise ein Schwinden des Interesses bemerkbar. Nicht nur alte Bräuche kommen ab, sondern auch die alten Lieder und Erzählungen geraten mehr und mehr in Vergessenheit. Es muß darum gewünscht werden, daß der Sinn für das alte poetische Erbe wieder geweckt werde, und dazu trägt hoffentlich auch dies Buch bei, das den Leser aus dem nüchternen Alltagsleben für ein Weilchen in die poesievolle Märchenwelt versetzt.


Innsbruck, 9. November 1910.


Wolfram und Oswald von Zingerle.[8]

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911.
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