3. Die Krönlnatter.

[14] Die Krönlnatter ist eine Natter, so gescheckt und kriechend wie die andern ihres Geschlechtes, aber auf dem Kopfe trägt sie ein gar hübsches Krönlein und davon heißt sie die Krönlnatter. Das Krönchen glänzt wie Gold und die Spitzen desselben funkeln wie Edelsteine. Kommt die Krönlnatter zu dir und begegnest du ihr recht lieb und freundlich, so ist dein Glück gemacht, denn früher oder später wird sie dir das Krönlein schenken und das Krönlein macht alles, was du immer willst, unversieglich. Legtest du das zackige Reiflein zu deinem Schatztaler, den dir die liebe Mutter aufbewahrt, so könntest du dir um 100 Gulden Soldaten, Pferde und Bilder kaufen und dein Taler wäre doch als Hecktaler im Beutelchen. Würdest du das Krönlein zu den Soldaten legen, so würdest du Soldaten ohne Maß und Ziel bekommen, so daß dein Füßchen in der Stube vor lauter Soldaten nicht mehr Platz fände.

Einmal vor alten Zeiten war ein armes Bauernmädel, das von seiner bösen Stiefmutter gar hart behandelt wurde. Es mußte früh aufstehen und in den Stall gehen und arbeiten früh und spät, und war spätabends alles abgetan, so bekam es von seiner Mutter noch Schläge und Scheltworte und höchstens ein wenig Wirler1, um den Hunger zu stillen. Das Mädchen war aber immer heiter und wohlgemut,[15] denn so oft es in den Stall ging, kam eine Natter mit einem Krönlein daher und blickte dem netten Kinde so lieb in die dunklen Äugelein, daß es Weh und Ach vergaß und des Lebens froh wurde. Das Mädchen gab dem zutraulichen Tiere, weil es in die Butte äugelte, einmal ein wenig Milch und es trank und trank und sah die kleine Dirne so lieb an, als ob es danken wollte. Das Mädchen brachte aber die Milch voll Bangen der Stiefmutter, denn diese zählte jeden Tropfen und forderte von jedem fehlenden Rechenschaft. Wie groß war aber das Staunen der Melkerin, als zwei Schüsseln mehr als gewöhnlich voll wurden und selbst die herbe Mutter ein süßes Gesicht schnitt.[16]

Seitdem kam die Natter immer und das Mädchen gab ihr tagtäglich von der Milch und das Tier blickte sie immer mit seinen klugen schwarzen Äugelein so lieb an, als ob es hätte sagen wollen: »Maidele, ich will dir dankbar sein.«

So ging es viele, viele Jahre. Die Natter kam morgens und abends und trank Milch und das Mädchen wuchs und wuchs und ward immer schöner und lieber, so daß es die schönste Dirne im Dorfe war und von allen gern gesehen wurde.

Die Dirne war endlich Braut und hielt eine lustige Hochzeit. Die Schüsseln dampften, die Böhmen musizierten und die Böller krachten, daß es eine Lust war, und alles war laut und fröhlich. Als das Fest dem Ende sich zuneigte, war es plötzlich stille, stille – denn die Krönlnatter schlängelte sich durch den Saal, bis sie zum Sitze des Brautpaares kam. Hier kroch sie an der Sessellehne empor auf die rechte Schulter der Braut, sah ihr ins freudennasse Auge, schüttelte das goldene Krönlein vom Kopfe auf den blanken Teller – und verschwand, ohne je wieder zu kommen. Die Braut nahm aber das funkelnde Andenken zu sich und legte es zu ihrem Gelde. Dies nahm aber nie mehr ab, mochte sie davon nehmen, so viel sie wollte, und seitdem war sie die reichste und stattlichste Bäuerin im ganzen Dorfe.


(Unterinntal.)

1

Speise aus Maismehl. Schöpf, Tirolisches Idiotikon 817.

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 14-17.
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