Inger (Myxine glutinosa)

[403] Linné deutete die bekannteste Art der Familie, den Inger, welcher auch Blind-, Schleim- und Wurmfisch sowie Bauchkiemer genannt wird (Myxine glutinosa, caeca und limosa, Gasterobranchus coecus), als Eingeweidewurm, und das sonderbare Thier hat in der That scheinbar mehr Aehnlichkeit mit einem solchen als mit einem Fische. Die Merkmale der nach ihm benannten Sippe der Schleimfische (Myxine) sind folgende: Der rundliche Mund trägt acht Bärtel, die Zunge in jeder Reihe acht oder neun knochenharte Zähne, der Gaumen einen hohlen, etwas gekrümmten Knorpelzahn; die Augen fehlen; die Kiemenöffnungen münden unter der Haut in einen gemeinsamen Schlauch, welcher sich jederseits durch ein Loch nach außen öffnet; die Haut sondert reichlichen Schleim ab. Die Länge des Inger beträgt etwa zwanzig Centimeter; die Färbung ist ein schwer zu bestimmendes Bläulichweiß.

Der Inger gehört den nördlichen Meeren an, wird namentlich an den Küsten von Grönland, Norwegen, Schweden und Großbritannien gefangen, kommt jedoch auch in der Nordsee, namentlich an der oldenburgischen Küste, beispielsweise im Jahdebusen vor, und nimmt in der Regel in großer Tiefe, wie es scheinen will, vorzugsweise auf schlammigem Grunde, seinen Aufenthalt. Er bethätigt den Lehrsatz, daß die Gestalt des Thieres dessen Lebensweise bedingt. Ein Wurm unter [403] den Fischen, schmarotzt er, wie die schlimmsten Arten der Eingeweidewürmer, auf und in dem Leibe seiner Klassenverwandten. Wie er es treibt, um sich einer Beute zu bemächtigen, weiß man nicht, sondern nur so viel, daß er sich in Muskeln und Eingeweide verschiedener Fische, zumal der Dorsche, Lenge, Heilbutten, Störe und Häringshaie, einbohrt und nach und nach deren Leib bis auf Haut und Knochen auffrißt oder aufsaugt. An in Tiefnetzen gefangenen Fischen richtet er zuweilen nicht unerheblichen Schaden an; aber auch an kerngesunden, kräftigen Fischen verübt er seine Uebelthaten. In Ermangelung des Gesichtes bedient er sich zweifelsohne seiner Fühlfäden an den Lippen als Taster, erkundet so eine Beute, wie man annimmt, am ehesten eine solche, welche sich im Netze oder an der Angel gefangen, hängt sich mit Hülfe seines Saugmundes fest und schlüpft endlich, sei es durch Maul oder After, sei es durch ein selbst gebohrtes Loch, in das Innere des ihm verfallenen Leibes. Nöthigenfalles begnügt er sich mit Fischaas, vorausgesetzt, daß nicht er selbst die Ursache des Todes derjenigen Thiere war, in deren Leichnamen man ihn findet. Das ist durchaus Würmerart, und stellt sich der Inger somit in der That als Wurmfisch oder Fischwurm, als vermittelndes Bindeglied zwischen beiden Thiergruppen dar. Die Fortpflanzung geschieht durch verhältnismäßig große Eier von gelblicher Färbung, welche hornige Schalen und fadige Anhängsel haben und mittels letzterer an anderen Gegenständen sich anheften.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 403-405.
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