Brodkäfer (Anobium paniceum)

[116] Der Brodkäfer (Anobium paniceum), um noch eine vierte, oft in ungeheuerer Menge vorkommende Art von den Körperverhältnissen der vorigen zu nennen, hat ein durchaus gleichmäßig flachgewölbtes, vorn etwas verengtes Halsschild, und eine feine, ziemlich dichte Behaarung auf dem ganzen röthlichbraunen und walzenförmigen Körper. Diese Art lebt nicht bloß, wie ihr Name andeutet, in altem, knochenhart gewordenem Brode, sondern überhaupt in mehl-und zuckerhaltigen Pflanzenstoffen, in Sämereien, in Gemeinschaft mit dem Diebe in Herbarien, durchlöchert das Papier, welches schlecht schließenden Fenstern nachhelfen soll und durch Stärkekleister aufgeklebt worden ist, bewohnt den Schiffszwieback und richtet so in der verschiedensten Weise Schaden an. An solche Gegenstände legt das Weibchen seine zahlreichen Eier ab, die ihnen folgenden Larven bohren sich ein und verwandeln mit Beihülfe der Käfer den betreffenden Körper in Brocken und Staub, wenn sie in ihrer Thätigkeit nicht gestört werden.

Alle diese Käfer verursachen zu Zeiten ein klopfendes, durch seine Regelmäßigkeit an das Ticken einer Taschenuhr erinnerndes Geräusch. Hörte man es abends und nachts in einem stillen Krankenzimmer – einem Orte, der sich vor allen anderen zu dergleichen Wahrnehmungen eignet –, so mußte es dem alten Aberglauben zufolge die letzten Lebensstunden des schwer Darniederliegenden verkündigen, daher »Todtenuhr«. Als man nach einer natürlichen und vernünftigen Erklärung dieser Erscheinung suchte, glaubte man sie in dem rhythmischen Nagen jener Larven und der Käfer gefunden zu haben. Dieses ist allerdings ein sehr gleichmäßiges, aber nichts weniger als den Ton einer Uhr nachahmendes. Vielmehr bringen die Käfer selbst dieses Geräusch und zwar in folgender Weise hervor. Vorderbeine nebst Fühler angezogen, den Körper hauptsächlich auf die Mittelbeine gestützt, schnellt der Käfer jenen vor und schlägt mit Stirn und Vorderrand des Halsschildes gegen das Holz. Becker in Hilchenbach theilt hierüber seine Beobachtungen mit, wie folgt: »Unter vielen Fällen, in denen ich das Klopfen belauschte, ist mir nur ein einziger bekannt, wo dieses der Käfer außerhalb seines Ganges im Holze verrichtete. Es war am 1. Mai 1863, als ich in einem Zimmer meiner Wohnung, wo aufgehobene alte Dielen aufgestellt waren, dieses gegen Abend hörte. Das vorsichtige Umdrehen der Dielenstücke führte mir zwei noch nicht lange ausgeschlüpfte Käfer von Anobium tessellatum zu, ich brachte sie unter eine Glasglocke auf einem Tische und fand sie zu meiner Ueberraschung nach einer Stunde in der engsten Verbindung. Als diese einige Zeit gewährt und beide etwa drei Zoll von einander gelaufen waren, begann das Weibchen sein Locken durch Klopfen; das Männchen streckte die Fühler, wie zum Lauschen gerade aus und antwortete nach dem zweiten Rufe dem Weibchen mit demselben Zeichen; so wurde unter Näher- und Näherrücken dieses Liebesduett mit Erfolg fortgesetzt. Das abwechselnde Klopfen und Begatten dauerte in größeren und kleineren Zwischenräumen bis zum anderen Nachmittag fort. Nach dieser Zeit saßen beide Käfer ruhig und von einander entfernt. Am anderen Morgen verrieth das Männchen an allen seinen Bewegungen eine bedeutende Schwäche, konnte nicht mehr ordentlich gehen und verendete den folgenden Tag«. Im nächsten Jahre fand der Berichterstatter seine Wahrnehmungen von neuem bestätigt und erzählt dann weiter von einem Pärchen, welches er am 1. April des abermals nächsten Jahres aus altem Holze erzogen, und jedes einzeln in gut verschlossene, leere Zündholzbüchschen gebracht hatte: »Am 8. April«, heißt es, »hörte ich den einen in der Abenddämmerung klopfen, worauf der andere bald antwortete. Das Männchen war zu meinem großen Leidwesen in der Nacht gestorben, das Weibchen machte mir aber um so größere Freude; denn als ich mit einer Stricknadel durch Stoßen auf den Tisch, auf welchem das Büchschen mit ihm stand, dessen Klopfen nachzuahmen versuchte, antwortete es mir mit demselben Zeichen und zwar an späteren warmen Tagen zu jeder Zeit und mit einer solchen Hitze, daß [116] sich leicht deren Ursache – Liebessehnsucht – verrieth. Am 2. Mai antwortete mir der Käfer zum letztenmale; bis zum 15. Mai lebte derselbe noch, ohne in sechs Wochen mir bekannte Nahrung zu sich genommen zu haben«. Auch ich hatte Gelegenheit, dieselbe Art, wenn auch unvollkommener als Becker, beim Klopfen zu belauschen. Es war am 15. und 16. April 1872 in den Nachmittagsstunden, als ich in meinem, nach einer belebten Straße sehenden Zimmer, am Arbeitstische sitzend, auf lautes Klopfen aufmerksam wurde. Am ersten Tage war es bald verklungen und ich ging ihm daher nicht weiter nach, als es am folgenden aber wieder und anhaltender hörbar wurde, spürte ich dem Urheber nach und fand endlich oben zwischen den Fenstern hinter etwas losgesprungener Tapete an dieser einen bunten Klopfkäfer sitzen, welcher durch Stoßen an das steife und federnde Papier ein besonders lautes Geräusch hervorgebracht hatte. Das Klopfen, welches sich vom Juni bis zum August an warmen Tagen oder Nächten vernehmen läßt, rührt von dem sich später entwickelnden Trotzkopfe her. Die »Todtenuhr« der Schwachköpfe hat sich somit nach den Becker'schen Beobachtungen unzweifelhaft in eine »Lebensuhr« umgewandelt. Um neues Leben zu erzeugen, klopfen sich die Werkholzkäfer zusammen, wie sich die allerdings mehr poetischen Lampyriden zusammen leuchten!

Man findet alle diese Käfer auch im Freien, wo es ja nirgends an altem Holze fehlt, aber auch noch viele andere, sehr ähnliche, bedeutend kleinere, höchstens 3,37 Millimeter lange, der Gattung Cis angehörige, welche oft zu hunderten bei einander in holzigen Baumschwämmen wohnen und darin ebenso bohren, wie die besprochenen im Holze. Lacordaire weist sie mit noch mehreren anderen Gattungen einer besonderen Familie zu, während wir es vorzogen, sie mit den vorigen zu der Familie der Holzbohrer (Xylophagi oder Ptiniores) zu vereinigen, indem sie ein horniges Kinn, eine Zunge von häutiger oder lederartiger Beschaffenheit, zwei blattartige und gewimperte Laden, meist elfgliederige, vor den Augen eingelenkte Fühler, walzige oder kugelige Hüften der vier vorderen Beine, meist fünfgliederige Füße, einen aus fünf (selten sieben) Bauchringen zusammengesetzten Hinterleib und einen walzigen Körper mit einander gemein haben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 116-117.
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