Kiefern-Kammhornwespe (Lophyrus pini)

[333] Die Kiefern-Kammhornwespe (Lophyrus pini) hält sich, wie ihr Name vermuthen läßt, nur in Kiefernwäldern auf, wo die Larve bisweilen nicht unbeträchtlichen Schaden anrichtet. Man hat gesehen, wie dieselben in so dicht gedrängten Reihen auf die Bäume kletterten, daß die Stämme gelb gefärbt waren, wie sie oben die Nadeln vollständig bedeckten und in Knäulen von der Größe eines Menschenkopfes daran hingen. Hatten sie alles Grün verschwinden lassen, so zogen sie weiter nach anderen Revieren, welche vom Schauplatze ihrer Verwüstungen durch einen Bach getrennt waren. Zu tausenden und abermals tausenden wimmelten sie am Ufer desselben, und weil sie ihre Richtung nicht änderten, stürzten sie in das Wasser. Tag für Tag wogten sie aus dem Inneren jenes vernichteten Bestandes ihrem sicheren Tode zu, so daß der Bach während dieser Zeit nicht von lebendigem Wasser, sondern von dem mit dem Tode ringenden Geziefer gebildet zu sein schien. Solche Erscheinungen kommen selten vor, trotzdem sind die Verwüstungen noch groß genug, wenn das gewöhnliche Maß auch nicht in solchem Umfange überschritten wird. Für gewöhnlich erscheint die Afterraupe vom Mai ab in sehr mäßiger Anzahl. Sie hat zweiundzwanzig Beine, eine grüne, je nach dem Alter in Gelb oder Braun spielende Körperfarbe und eigenthümlich geschwungene, rauchgraue oder schwarze Zeichnungen über den vorderen Beinen. Nach acht Wochen oder darüber hinaus, wenn die Witterungsverhältnisse ungünstig, ist sie erwachsen, nachdem sie sich fünfmal gehäutet hat. In diesem Zustande erblicken wir mehrere auf einem Zweige, ebenso das Tönnchen, in welchem sie sich an einer Nadel verspinnt. Ende Juli nagt die Wespe ein Deckelchen los und kommt an das Tageslicht. Sehr charakteristisch wird sie und ihre Gattung durch die bei den verschiedenen Arten siebzehn-bis zweiundzwanziggliederigen Fühler. Beim Weibchen sind diese gesägt, beim Männchen außerordentlich zierlich kammzähnig; die Zähne nehmen nach der Spitze hin allmählich an Länge ab, stehen in zwei Reihen, und jeder hat, wie die Fahne einer Feder, wieder feine Fiedern. Eine Rand- und drei Unterrandzel len, zwei Enddornen an den Vorderschienen kennzeichnen die Gattung, und unsere Art unterscheidet man von den vielen ähnlichen im weiblichen Geschlechte durch die in der Mitte der Fühler auftretende größte Stärke derselben, durch den dicht punktirten Kopf und Mittelleib, die hier und da in kleinen Strecken ausgebliebenen Flügeladern und die zwei Endspornen an den Schienen der Hinterbeine; Kopf und Rücken des Mittelleibes sowie die Hinterleibsmitte sind vorherrschend schwarz, ebenso ein Mittelfleck der Brust, das übrige ist schmutzigrostgelb. Das Männchen erkennt man an seinem schwarzen Kleide, wovon nur die von den Knien an schmutzigrostgelben Beine eine Ausnahme machen, an dem dunkeln Flügelmale und derselben Körperpunktirung, wie sie eben am Weibchen auseinander gesetzt wurde. Gleich nach ihrem Erscheinen paaren sich die Wespen, und das Weibchen kriecht sofort, mit den vorgestreckten Fühlern suchend, umher und wählt, wenn der Juli noch nicht vorüber ist, vorjährige Nadeln, später, vom August ab schwärmende Weibchen gehen an diesjährige. Hat es die erwünschte Stelle ausfindig gemacht, so setzt es sich, gleichviel ob an der Spitze oder am Grunde beginnend, auf die scharfe Kante der Nadel, schneidet mit seiner Säge das Fleisch bis auf die Mittelrippe durch und läßt ein Ei neben das andere seiner Länge nach auf diese gleiten. Die Spaltöff nung wird mittels eines gleichzeitig ausfließenden Schleimes, welcher sich mit den Sägespänen vermengt, zugekittet. Auf solche Weise gelangen zwei bis zwanzig Eier in eine Nadel, deren Kante durch ebenso viele, [333] von der Seite als Vierecke erscheinende, sich an einander reihende Kittknötchen wieder geschlossen wird. Ein Weibchen vermag achtzig bis hundertundzwanzig Eier abzusetzen, und zwar geschieht dies immer an benachbarten Nadeln. Mit kurzer Unterbrechung behufs der Ruhe wird die Arbeit Tag und Nacht bis zu Ende fortgesetzt, und ein schneller Tod ist die Folge der gehabten Anstrengung. Je nach der Witterung ist ein Zeitraum von vierzehn bis vierundzwanzig Tagen ausreichend, um das Ei zur Entwickelung zu bringen; dabei schwillt es etwas an und der Kitt löst sich von selbst, so daß die junge Afterraupe ohne Mühe herauskriechen kann. Berechnen wir die bei den verschiedenen Ständen bereits angeführten Zeiten ihrer Entwickelung, so ergibt sich im günstigsten Falle eine Lebensdauer vom Eie bis zum Schwärmen der Wespe von etwa drei Monaten. Findet letzteres nach gewöhnlichen Witterungsverhältnissen zum erstenmale im April statt, so wird im Juli die zweite, gewöhnlich immer zahlreichere Brut schwärmen, und der Fraß der Raupen fällt somit in den Mai und Juni von der ersten, in den August und September von der zweiten Brut, welche unter Moos ihre Tönnchen spinnt, darin überwintert und im nächsten Jahre den Anfang macht. Indeß muß man nicht meinen, daß diese Regelmäßigkeit auch immer statt habe; nach sorgfältig angestellten Beobachtungen kann die erste Brut im nächsten Frühlinge zur Entwickelung gelangen, oder im Nachsommer, ja selbst mit Ueberspringung eines ganzen Jahres erst im dritten, ebensowenig braucht die Brut des Spätsommers gerade den ersten Schwarm im folgenden Frühjahre zu bilden. Merkwürdig bleibt hierbei der Umstand, daß die Larven derselben Wespenart wenige Tage in ihrem Gespinste ruhen und in einem allerdings selteneren Falle mehrere Jahre. Im allgemeinen ist die Afterraupe gegen äußere Einflüsse ziemlich empfindlich, besonders in der zarten Jugend und vor dem Verspinnen; es fehlt nicht an Beispielen, wo man nach einer kühlen Nacht, einem heftigen Gewitterregen, nach Höhenrauch usw. ganze Familien in den verschiedensten Stellungen und Färbungen todt, theils auf den Nadeln, theils unter den Bäumen angetroffen hat. Daß sie außerdem noch von vielen Schmarotzern aufgesucht werden – man hat beinahe vierzig verschiedene Arten daraus erzogen – geht aus dem Vorhergehenden zur Genüge hervor. Im Winter schleppen die Mäuse gern die Tönnchen zusammen und fressen sie aus.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 333-334.
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