Sippe: Stratiomyinen

[463] Es war am 27. Juli 1856, als ich einen dem Insektenfange geltenden Ausflug unternahm. Der Tag war heiß, und Kerfe allerlei Art, besonders Fliegen, umschwärmten geschäftig den bunten Teppich eines reichen Pflanzenwuchses. Eine ungemein zierliche Fliege (Stratiomys furcata) saß am Rande eines kleinen Wasserdümpels ruhig auf der Unterseite eines Schilfblattes, etwa in Manneshöhe über dem Spiegel des nicht spiegelnden, mehr schlammigen Loches, und zog um so mehr meine Aufmerksamkeit auf sich, als ich diese Art bisher nur in schnellem, aber geräuschlosem Fluge Blumen aufsuchen sah und dort mit großer Ausdauer und Vorsicht auch einige Stücke erbeutet hatte. Von der Schüchternheit und Eile dieser Art vollkommen überzeugt, nahte ich mich mit der größten Vorsicht und erreichte meinen Zweck. Die Fliege blieb nicht nur sitzen, sondern fuhr in ihren Beschäftigungen, Eier zu legen, fort. Ein anscheinend filziger Klumpen hinter ihr wurde größer, indem sie mit der sonst zurückgezogenen, jetzt bemerkbaren Spitze ihres Hinterleibes mehr und mehr vorwärts rückte. Weiteres zu beobachten war mir bei der Entfernung nicht möglich, der unsichere Boden unter meinen Füßen erlaubte kein weiteres Vordringen, und dieses würde, wenn es möglich gewesen, die Fliege sicherlich verscheucht haben. Ich fing sie schließlich und bemächtigte mich des Blattes mit den Eiern. Es mochten einige Hunderte walzige, grünlichgraue, etwa 2,25 Millimeter lange Körnchen sein, welche gedrängt neben einander schräg aufrecht standen, von einer grünlichen Salbe festgehalten und in sie eingebettet waren und in ihrer ganzen Erscheinung große Zartheit verriethen. Ich nahm sie mit heim und bemerkte, daß sie bald dunkler wurden. Sie kamen in Vergessenheit, und nach etwa zehn Tagen fanden sich wenige winzig kleine, lanzettförmige, todte Lärvchen in der Schachtel. Ein anderes Mal trug ich am 29. Mai eine Menge von Schilfstengeln ein, an welchen die Eier der Stratiomys longicornis angeklebt waren, die nach acht Tagen auskrochen, Wasser bekamen, aber nicht gedeihen wollten. Sie hatten ganz die Form der ausgewachsenen [463] Larve und krochen gern an den Wänden des Glasgefäßes über das Wasser in die Höhe. Eine erwachsene Stratiomys-Larve spitzt sich nach den Enden und schärft sich an den Seiten zu, so daß ein Querschnitt derselben ungefähr dem einer Linse gleicht. Von den zwölf Leibesgliedern deckt an den vier vordersten der Vorderrand des nächsten allemal den hinteren Rand des vorangehenden Gliedes, das vierte dagegen aber auch mit seinem Hinterrande den Vorderrand des folgenden, und in dieser umgekehrten Weise geht es bis an das Ende. Will man den Bau des Leibes mit der Einrichtung eines Fernrohres vergleichen, so würde also vom letzten bis zum vierten Gliede jedes in das vorhergehende und von der anderen Seite das erste wieder bis zu demselben vierten sich einschieben lassen. Sie alle sind bräunlich erdgrau gefärbt und erscheinen bei näherer Betrachtung durch schwärzliche Längsstriche und Pünktchen auf ihrer Oberfläche wie chagrinirt. Die äußerste Schwanzspitze führt eine Oeffnung, nicht als Abzugskanal der Auswürfe, dessen Mündung etwas weiter nach vorn liegt, sondern zum Athmen, und ist mit einem Kranze zierlich gewimperter Härchen umgeben. Diese breiten sich sternartig aus oder klappen sich, nach oben mit ihren Spitzen zusammenstoßend, in der Weise zusammen, daß sie einen hohlen, kugelähnlichen Raum einschließen, weil sie Bogenlinien darstellen. In ihren Bewegungen haben diese Larven viel Aehnlichkeit mit den oben erwähnten Larven der Stechmücken. In S- und C-förmigen Windungen, das Schwanzende nach oben, den Kopf nach unten, schlängeln sie sich auf und nieder und hängen oft auch senkrecht mit ausgebreitetem Schwanzsterne an der Oberfläche. Sobald sie untertauchen, nimmt letzterer die erwähnte Kugelgestalt an und schließt ein silberglänzendes Luftbläschen ein, einen Vorrath zum Athmen und dazu geeignet, diesen Larven einen längeren Aufenthalt unter dem Wasser zu gestatten.


Weibchen der gemeinen Waffenfliege (Stratiomys chamaeleon); natürl. Größe.
Weibchen der gemeinen Waffenfliege (Stratiomys chamaeleon); natürl. Größe.

Am schwarzen, hornigen Kopfe stehen zwei einfache Augen, vorn eine Art Schnabel und daneben ein Paar beweglicher Kiefern, Fühler oder wie man sonst die gezahnten und bewimperten Werkzeuge nennen mag, welche sich in fortwährender Bewegung befinden. Beim Fortkriechen im Schlamme werden sie zum Einhaken gebraucht, so daß die Larve dabei an die Gewohnheit eines Papageien erinnert, der sich seines Schnabels als dritten Fußes zu bedienen pflegt. Sie häutet sich mehrere Male. Zur Verpuppung reif, verläßt sie das Wasser und sucht Schutz unter einem Steine. Unter einem solchen fand ich am 12. April einige Larven mindestens zwei Meter entfernt vom Wasserspiegel eines Teiches und an einer Anhöhe, die an zwei Meter über demselben lag; bemerkt sei noch, daß der Teich im vorangegangenen Sommer einen sehr niedrigen Wasserstand gehabt hatte und auch beim höchsten jenen Stein nimmer hätte erreichen können. Ich brachte sie im geheizten Zimmer auf ziemlich trockene Erde, unter welche sie sich etwas eingrub, und am 14. Mai erschien die erste Fliege, ein Männchen der Stratiomys longicornis. Das Herauskriechen der Larve aus dem Wasser ist jedoch nicht unumgänglich nothwendig, denn man findet die Puppe auch an dessen Oberfläche zwischen Meerlinsen und anderen schwimmenden Wasserpflanzen. Dieselben gleichen einer zusammengeschrumpften, verkürzten Larve, deren Vordertheil sich vorzugsweise zurückzieht, so daß er etwas eckig wird, und die Hornhaken des Kopfes wie ein Zäpfchen vorstehen. Trotz der, wie man meinen sollte, gegen Schmarotzer geschützten Lebensweise sind auch diese Larven nicht sicher vor solchen. Ein Dickschenkel aus der Familie der Chalkidier (Smicra sispes) verdankt ihnen seinen Ursprung.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 463-464.
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