Gemeine Eintagsfliege (Ephemera vulgata)

[508] An einem stillen Mai- oder Juni-Abende gewährt es einen Zauber eigenthümlicher Art, diese Sylphiden im hochzeitlichen Florkleide, bestrahlt vom Golde der sinkenden Sonne, sich in der würzigen Luft wiegen zu sehen. Wie verklärte Geister steigen sie auf und nieder ohne sichtliche Bewegung ihrer glitzerndern Flügel und trinken Lust und Wonne in den wenigen Stunden, welche zwischen ihrem Erscheinen und Verschwinden, ihrem Leben und Sterben liegen; denn sie führen den Hochzeitsreigen auf, wiewohl merkwürdigerweise unter tausenden von Männchen nur wenige Weibchen vorkommen. Man kann diese Tänze bei uns zu Lande am besten beobachten an der gemeinen Eintagsfliege (Ephemera vulgata), weil sie die größte ist, am häufigsten in [508] Deutschland und zwar schon im Mai vorkommt und sich infolge ihrer dunkeln Färbung am schärfsten gegen den Abendhimmel abgrenzt. Sie mißt reichlich 17 bis 19 Millimeter ohne die Schwanzborsten, welche beim Weibchen eine gleiche, beim Männchen fast die doppelte Länge haben, und ist dunkelbraun; einige gereihete, bisweilen zusammenstoßende Flecke von pomeranzengelber Farbe auf dem Hinterleibe, abwechselnd lichte und dunkle Ringel der drei unter sich gleichen Schwanzfäden verleihen dem düsteren Gewande einigen Schmuck, sowie eine braune, gekürzte Mittelbinde auf den dreieckigen Vorderflügeln den dicht netzförmig und dunkel geaderten, in den Zwischenräumen durchsichtigen Flügeln etwas Abwechselung. An jedem Beine zählt man f ünf Fußglieder, deren zweites das erste beinahe um das Achtfache an Länge übertrifft. Die gesperrt gedruckten Merkmale kommen allen Arten der Gattung Ephemera zu, die neuerdings in mehrere zerlegt worden ist. Fragen wir nun, wo kommen sie her, jene ephemeren Erscheinungen? Sie entsteigen, gleich den vorigen, dem fließenden Wasser, wo die Larven ihre Lebenszeit mit Raub verbrachten, nachdem die Weibchen die Eier in dasselbe ausgestreut hatten.


Männchen der gemeinen Eintagsfliege (Ephemera vulgata).
Männchen der gemeinen Eintagsfliege (Ephemera vulgata).

Die gestreckte Larve unserer Art hat auf jeder Seite des Hinterleibes sechs Kiemenbüschel oder Quasten, keine Kiemenblättchen. Der Kopf läuft vorn in zwei Spitzen aus, trägt fein behaarte Fühler und lange, sichelförmig nach oben gekrümmte Kinnbacken und Kiefertaster, welche dreimal länger als die Lippentaster sind. Die einklauigen Beine sind glatt und bewimpert, Schenkel und Schienen der vordersten stärker und zum Graben eingerichtet; denn sie arbeiten mit ihnen in die sandigen Ufer, der Bäche lieber als der Flüsse, wagerechte, bis zweiundfunfzig Millimeter tiefe Röhren, meist zwei dicht neben einander. Die schmale Scheidewand ist im Hintergrunde durchbrochen, so daß die vorkriechende Larve sich nicht umzuwenden braucht, wird auch durch das Wasser häufiger oder infolge des Vorbeikriechens oft genug zerstört.

Die Larven der Gattung Palingenia graben auch, unterscheiden sich aber äußerlich von der vorigen durch zwei gewimperte Kiemenblättchen an den Seiten der meisten Hinterleibsringe; andere theils von mehr platter, theils von mehr runder Körperform leben frei im Wasser, jedoch sind die meisten von ihnen noch lange Zeit hindurch sorgfältig zu beobachten, ehe die vielen Lücken in unseren Kenntnissen über die einzelnen Eintagsfliegen ausgefüllt werden können.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 508-509.
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