1. Sippe: Stabschrecken, Bacilinen

[544] Die Gespenstschrecken (Phasmodea), mit den vorigen innig verbrüdert in dem Gebundensein an wärmere Erdstriche und im sonderbaren Aussehen, waren im Systeme auch lange Zeit mit ihnen vereinigt, enthalten aber der abweichenden Merkmale zu viele, um nach dem heutigen Stande der Wissenschaft es ferner bleiben zu können.


Rossi's Gespenstschrecke (Bacillus Rossi), erwachsen und als Larve. Natürliche Größe.
Rossi's Gespenstschrecke (Bacillus Rossi), erwachsen und als Larve. Natürliche Größe.

In der vorherrschenden Entwickelung des Mittelbrustringes auf Kosten des vorderen, in dem Mangel der Raubfüße, meist auch der Flügel, und in der stabförmigen Gestalt der meisten oder der blattförmigen einiger liegen die ohne weiteres in die Augen springenden Unterschiede. Der in der Regel eiförmige Kopf steht hier allerdings auch schief, jedoch mit dem Munde nach vorn, trägt nur, aber nicht immer, bei den geflügelten Arten Nebenaugen, mitten im Gesichte vor den vorquellenden Netzaugen die neun- bis dreißiggliederigen Fühler, welche einen kurzen Faden darstellen, und stark entwickelte Freßwerkzeuge; an diesen überwiegt die Unterlippe mit ihren großen äußeren Lappen und den Tastern, welche die kleinen Kiefertaster vollständig zur Seite drängen. Der zweite Brustring erlangt in der Regel den stärksten Umfang, bleibt aber dem Bildungsgesetze der übrigen Körpertheile treu, drehrund oder platt, je nachdem das ganze Thier diese oder jene Gestalt hat; Beine und Flügel, wo letztere vorhanden sind, stehen am hintersten Ende desselben. Nur bei einer geringen Anzahl Gespenstschrecken (Phyllium) ist der letzte Brustring so groß wie der mittlere, bei den ungeflügelten kürzer und ebenso gestaltet wie der vorhergehende, bei den geflügelten länger. Der Hinterleib pflegt drehrund zu sein wie der Mittelleib, platt gedrückt, geradezu so dünn wie ein Blatt, wenn dieser es ist, und läßt auf dem Rücken neun, am Bauche nur sieben oder acht Ringe unterscheiden, was daher kommt, daß beim Weibchen die siebente große und schaufelförmige, beim Männchen die achte Bauchplatte lang genug wird, um den letzten Ring zu bedecken oder gar noch zu überragen. Ein zweiter Geschlechtsunterschied besteht darin, daß beim stets kleineren Männchen die Oeffnung für die Geschlechtstheile in der vorletzten, beim Weibchen in der drittletzten Bauchplatte angebracht ist. Wie schon erwähnt, fehlen vielen Arten die Flügel auf allen Altersstufen, und es treten daher dieselben Schwierigkeiten wie bei den Schaben ein, wenn es sich um Unterscheidung von Larve und ungeflügeltem Geschlechtsthiere handelt, ja sie mehren sich hier noch bedeutend darum, weil bei vielen Larven Stacheln und lappige Anhänge an verschiedenen Stellen des Körpers oder an den Beinen [544] auftreten, welche später wieder verschwinden und so die Zusammengehörigkeit der unreifen und reifen Zustände verwischen. Die Vorderflügel pflegen kurz zu sein und nur die Wurzel der hinteren zu bedecken, diese dagegen reichen nicht selten bis fast zur Leibesspitze, haben ein sehr schmales, pergamentartiges und gefärbtes Randfeld, dagegen ein breites, häutiges Nahtfeld, in beiden aber ein fast quadratisches Adernetz. Große Mannigfaltigkeit herrscht hinsichtlich der Beine, indem sie entweder lang und dünn, oder an ihren verschiedenen Theilen breit und durch Anhänge blattartig erscheinen; nur in den fünf Fußgliedern, deren erstes das längste, und in einem großen runden Haftlappen zwischen den Krallen stimmen alle überein. Die dünnen Vorderbeine haben meist am Grunde ihrer Schenkel eine tiefe Ausbeugung für den Kopf, damit sie in dichtem Anschlusse aneinander steif vorgestreckt werden können, eine Stellung, welche die Thiere beim Ruhen sehr lieben und die ihnen bei der bräunlichen Farbe die größte Aehnlichkeit mit einem dürren Aste verleihen.


Wandelndes Blatt (Phyllium siccifolium). Natürliche Größe.
Wandelndes Blatt (Phyllium siccifolium). Natürliche Größe.

Hierin ist eines jener Schutzmittel zu erkennen, welche die Natur nicht selten, und zwar vorzugsweise bei den wehrlosesten Kerfen anwendet, um sie an ihren Aufenthaltsorten den Augen der Feinde zu verbergen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 544-545.
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